Meister Gerhard von Rile, des Kölner Domes Baumeister
In einem alten Gedichte, „Lobgesang auf den heiligen Anno“, wird unter anderem erzählt:
„Trier war eine alte Burg, sie zierte der Römer Gewalt, von dannen man unter der Erde den Wein sandte ferne mit steinen Rinnen den Herren zu liebe, die zu Köln waren seßhaft, gar mächtig war da ihre Kraft.“
Mit dieser Sage steht folgende Sage vom Kölner Dombau in Verbindung.
In deutschen wie in welschen Landen gab es um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts keinen, der dem Meister Gerhard von Rile glich in der Kunst des Bauens. Keinen gab es aber auch, der ihm an Hochmut und Vermessenheit gleich kam. Mit vielem Fleiß hatte er dem Bau des Kölner Domes sich hingegeben. Das Chor stand schon stattlich in schöner Vollendung da, als der Meister eines Tages oben vom hohen Krahne herab voll Freude sein Werk betrachtete. Mit einemmale hatte sich ein Fremder zu ihm gesellt. Ein feuerfarbener Mantel umgab ihn, und eine rote Hahnenfeder schwankte auf seinem schwarzen Barett. Er grüßte den Meister Gerhard, und auf dessen Befragen erklärte er ihm, daß er ein Baumeister aus welschem Lande sei, an dessen Kunstfertigkeit wohl die eines anderen nicht heranreichen werde. „Oho,“ meinte Meister Gerhard, „so rühmt sich mancher Pfuscher, deren es ja in allen Landen und in allen Künsten giebt.“ Des werde er ihn bald anders belehren, entgegnete der Fremde voll Zorns. Er wolle, wenn's ihm genehm sei, darauf wetten, daß er ein unterirdisch Bächlein von Trier nach Köln über Berg und Thal leiten werde, ehe der Meister Gerhard seinen Bau vollendet habe. „Um welchen Preis?“ fragte dieser voll guten Mutes. „Ich werde Deine Seele holen, wenn ich in Gestalt einer Ente auf dem Bächlein zu Dir geschwommen komme,“ sagte der Fremde, und hohnlachend verschwand er im Nu.
Meister Gerhard war von dieser Stunde an immer traurig, wenn er auch emsiger als vorher noch auf die Förderung seines stolzen Baues sich bedacht zeigte. Seine Hausfrau forschte lange vergeblich dem Grunde seiner stillen Betrübnis nach, bis er endlich doch ihren Fragen nicht mehr widerstehen konnte. Als beide an einem stillen Abende nach des Tages Arbeit beisammen saßen, erzählte der Meister seiner Frau alles. Zugleich vertraute er ihr aber dabei an, daß er gar nicht bange zu sein brauche, weil unmöglich in dem Bächlein Wasser fließen könne, wenn nicht alle Viertelstunde ein Luftloch gelassen würde, und das würde dem Fremden wohl entgehen.
Nun währte es nicht lange, so erschien in Meister Gerhards Hause ein gar stattlicher Mann, ein fahrender Magister, wie er sich selbst nannte. Seine Besuche wurden immer häufiger, galten aber besonders der Hausfrau. Er richtete öfters Fragen über dieses und jenes an sie. So fragte der Magister denn auch eines Tages, als er die Frau allein traf, was wohl der Grund von ihres Ehegemahls Traurigkeit sein möge. Arglos erzählte sie dem Fremden alles und unterließ dabei auch nicht zu erwähnen, was ihr Mann von der Wichtigkeit der Luftlöcher gesagt hatte.
Nach diesem Berichte war mit einemmale der Magister von der Seite der Frau verschwunden, aber ein fürchterlicher Gestank verbreitete sich, und ihr war, als vernähme sie ein hämisches Gelächter.
Da stand wieder eines Tages Meister Gerhard auf dem hohen Krahne seines Dombaues. Rastlos trieb er seine Werkleute zur Arbeit an. Plötzlich hörte er das laute Geschnatter einer Ente! Ohne sich zu besinnen, warf er sein Werkzeug zur Erde und stürzte sich von der Höhe des Baues herab in die Tiefe. Doch im Augenblicke fuhr der Teufel in eines zottigen Pudelhundes Gestalt ihm nach, erwischte ihn und führte seine arme Seele der Hölle zu. An dem hohen Krahne des Domes soll noch heute diese Begebenheit in Stein ausgehauen zu sehen sein.
Kein Meister fand sich, der geschickt genug war, den Bau weiter zu führen. Meister Gerhards arme ruhelose Seele schwebt dort herum. Viele Werkleute sind seitdem schon dort herab gestürzt, denn Meister Gerhard treibt dort seinen Spuk und will es nicht leiden, daß ein Unberufener sich an sein angefangenes Werk wagt. Allnächtlich macht sein Geist die Runde um den Bau, der nun und nimmermehr vollendet werden wird.
So die Sage. Friedrich Wilhelm IV. aber förderte mit hohem Eifer die Vollendung dieses Meisterwerkes der Baukunst, und unter Kaiser Wilhelm I. ward der stolze Bau des Kölner Domes glücklich zu Ende geführt. Weihrauchdüfte und heilige Gesänge steigen längst dort zu Gott empor und die mächtigen Glocken verkündigen laut den Ruhm seiner Allmacht, seiner Barmherzigkeit.
Quelle: Heinrich Pröhle, Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. Für die Jugend. Berlin 1886, S. 214.