Das heilige Köln
Köln ist eine der ältesten, größesten und berühmtesten Städte am Rhein. Es soll, nachdem seine Stätte schon von Urvölkern bewohnt worden, sechzehn Jahre vor Christi Geburt begründet sein, und zwar von Marcus Agrippa, dem Tochtermann Kaiser Augusts, daher sein lateinischer Name Colonia Agrippina, den es noch heute führt, und der offenbar auf Römeransiedelung hindeutet, sprächen nicht noch steinerne Zeugnisse für deren Vorhandensein schon in sehr früher Zeit. Es hatte die Stadt Köln so viele Kirchen und Kapellen, als das Jahr Tage zählt, und es birgt so viele Heiligen- und Martyrerleiber, daß der Stadt schon in früher Zeit der Beiname der heiligen wurde, auch ward Köln häufig das deutsche Rom genannt. Zahllose Wunderlegenden wären von alle den hier aufbewahrten Martyrerleibern, Schädeln und Gebeinen zu erzählen. Die drei Weisen des Morgenlandes, die das Christkind begabten, ruhen allda, St. Gereon mit seinen Kriegern, St. Ursula mit ihren eilftausend Jungfrauen, St. Georg der Drachentöter, die Mutter der Makkabäer mit ihren Söhnen, St. Matern, des heiligen Apostel Petrus Jünger, kein anderer als der Sohn der Witwe zu Nain, vom heiligen Petrus mit seinen Gefährten Eucharius und Valerianus nach Deutschland gesendet, im Elsaß, drei Meilen von Schlettstadt, abermals gestorben, begraben und nach vierzig Tagen mit dem Stab St. Petri, der noch im Kölner Domschatz vorhanden, berührt und wieder lebendig gemacht, der erste Bischof von Köln geworden und im einhundertundfünfzehnten Jahre seines Lebens zum dritten und letztenmal gestorben. Und nun die langen Reihen heiliger und frommer Bischöfe, dann Erzbischöfe aus den edelsten und berühmtesten rheinischen Geschlechtern, mit großer Macht begabt, unter ihnen St. Severin, St. Cunibert u.a. Und Anno, der heilige Erzbischof, mit dem die heilige Stadt Köln die erste Fehde hatte, ihn unterm Banner ihrer Heiligen und Martyrer verjagte und dann aufs neue ihm dennoch huldigen mußte – und so viele andere. Gar große Rechte und Freiheiten hatte die Stadt und hat sie zum Teil noch immer, und sie stammen aus uralten Zeiten her.
Quelle: Bechstein, Ludwig: Deutsches Sagenbuch. [Leipzig: Georg Wigand, 1853]. ed. Karl Martin Schiller. Meersburg/Leipzig 1930., Nr. 112