96. Rübezahl läßt ein Kleid machen.
Etwan vor sieben Jahren ist nach Liebenthal [Liebental] zu einem Schneider der Rübezahl in Gestalt eines fremden Junkers hingekommen und hat ihme von schönem Tuche ein Kleid zuschneiden lassen, welches er umb eine gewisse Zeit hat wollen abholen lassen. Aber was geschicht? Wie erstlich der Schneider das Kleid zuschneidet, da leget er das Tuch doppelt, gedenkende: es werde solches der Edelmann nicht merken. Zum andern tauschet der listige Vogel das Tuch aus und tut zum Kleide eine andere Gattung hin, und verfertiget davon das bedungene Kleid, welches er auch dem Edelmanne, wie darnach geschickt wird, folgen lasset, wiewohl der Schneider das Macherlohn nicht zugleich mitbekommen hat, sondern nur die Versprechung auf die und die Zeit, da es der Edelmann selber hat überreichen wollen. Was geschicht? Der Schneider meinte zuerst, er habe trefflich gefischet und wolle nunmehr das gestohlene Gewand sehr wohl zum eigenen Nutz anwenden; aber wie er's recht beschauet, da war es eine große Decke von Schilf, darein die Kaufleute ihre Ware zu packen pflegen. Vors andere nahete auch die bestimmte Zeit heran, da der Edelmann hat abzahlen wollen. Siehe, da trägt es sich unverhofft zu, daß der Schneider eine nötige Reise über das Riesengebürge [Riesengebirge] vornehmen muß. Wie er aber nunmehr unter Weges gewesen, da kömmt in aller Herrlichkeit der Rübezahl auf einer großen Ziegen hergetrabet und hat ihm eine Nase selber gemacht über einer halben Ellen lang (wie ich dieses von eben des Schneiders gewesenen Gesellen einen ausführlich habe gestecket und heimlich erzählet bekommen; denn ihn selber würde der Kuckuck wohl nicht geritten haben, daß er diesen Possen zu eigener Beschimpfung mir würde narrieret haben) und in solcher Positur schnurgleich auf Meister Hansen losgezuckelt, welchen die verwandte Ziege etliche Mal mit bebender Stimme angemöckert hat und gleichsam den Meister willkommen auf ihre Art genennet hat. Der Rübezahl hat nicht minder seiner Wörter geschonet, sondern vielmal geschrien: Glück zu Meister, Glück zu Meister! Wollet Ihr Euer Macherlohn für mein Kleid holen, das Ihr mir vergangen zugeschnitten und ich jetzt gleich am Leibe habe? Immittelst möckert die Ziege ihr Meister, Meister immerfort. Der Schneider aber erschrak, wie sehr er auch vorher über den seltsamen Foltesierer gelächelt hatte; und gedachte nunmehr gar wohl, daß er für seine Diebesstückchen würde den verdienten Lohn überkommen. Darauf höhnete ihn der Rübezahl meisterlich aus und zog ihn mit dem vermeinten Diebstahl des Tuches wacker durch, sagende: Wie siehet's, Bruder, haben wir nicht was zu schachern? Hastu nicht neulich was gepfuschert und von einer und der andern Sache etliche Stückchen abgezwackt oder hinter den Ofen geworfen und gesprochen: das soll der Teufel haben. Oder hastu nicht etwas nach den Mäusen geworfen und etliche feine Bißchen erübriget? Der Schneider aber verstümmele und sprach nichts. Darauf fuhr der Ziegenbereiter noch weiter fort und sagete: Gehe, du Hudler, und gebrauche dich fortan mehr deiner Nadel zum enge nähen und nicht weite Stiche zu tun, als deiner Fäuste zur Abzwackung. Laß den Leuten das ihrige und nimm ihnen weder von den übrigen Knöpfen oder Seide und andern übergebenen Sachen hinfüro nichts mehr; bleibe und halte dich an dein prätendiertes Macherlohn, das du Lumpenhund hoch genug steigern kannst. Und suche deinen Vorteil nicht mehr an ungebührlicher Unterschlagung, oder ich will dich nach diesem übel zuschlagen und ärger willkommen heißen, als dieses Mal geschehen ist! Darauf zuckelte er mit seiner großen Ziegen und langen Nasen immer davon und ließ den Schneider stehen. Doch täte er ihm dieses noch fürder zum Schabernack an, daß, sooft hernach der Schneider eine Ziege hat möckern gehört, er stets gemeinet habe, es rufe ihm ein Mensch und sagte Meister, Meister; wie es denn auch soll geschehen sein, daß dieser Schneider aus unrecht hören einmal zum Ziegenbocke hingegangen sei, fragende: Herr, wollt Ihr ein Kleid zuschneiden lassen? Da ihm der Bock zur Antwort gegeben hat: puff! Nämlich, er stieß ihn mit den Hörnern in die Rampanien, daß es puffte.
Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 93f
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