54. Rübezahl schenket einem Schuldner hundert Reichstaler.
Vor etwan zwölf Jahren (wie ich aus Halle von einem Salzführer erlernet habe) soll ein verwegener Bauer gewesen sein, der in bevorstehende Not seinem Leibe keinen Rat gewußt, wie er ihm getun möchte, daß er etwas Geld zusammenbrächte und sich in begebenen Falle erhielte. Doch soll er endlich, gleichsam aus Desperation, schlüssig geworden sein, auf das Riesengebürge [Riesengebirge] zu wandern und dem guten Rübezahl umb eine Post Geldes anzusprechen: wie er es denn auch ins Werk gesetzet und seinen Weg zu dem reichen Geist hingenommen hat, der ihme alsbald in einer besondern Gestalt erschienen und erfragt soll haben, was sein Anliegen und Begehren wäre? Drauf soll gedachter Bauer geantwortet haben: Ich wollte vom Beherrscher des Riesengebürges freundlich gebeten haben, ob er mir nit wollte etwas Geld fürstrecken, mich in gegenwärtiger Not zu schützen. Resp. Gar wohl, wieviel begehrstu denn? Und wenn willstu es mir wiederbringen? Resp. Großmächtiger Herr, könnt Ihr mir hundert Taler borgen, so will ich Euch solches, als ich ein redlicher Mann bin, übers Jahr allhier wieder zustellen und mich dankbarlich einfinden. Hierauf soll der Rübezahl einen Abtritt genommen haben und umb ein Weilchen wiederumb gekommen sein, einen Beutel mit so vielen Gelde mit sich bringend und dem Bauren zuzählend: da denn der Bauer solches empfangen, von Rübezahlen gegangen und sich an seinen Orte damit hingemachet hat. Ja es auch gebrauchet und zu seinen Nutzen angewandt hat, bis die bestimmte Zeit herangetreten und das Jahr geflossen gewesen, da er andere hundert Taler genommen, und zur Abzahlung als ein richtiger Debitor zum riesengebürgischen Creditorem damit hingespazieret ist, bis er etwan an den vorigen Ort wiederumb geraten, da er das Geld vorn Jahre ungefähr empfangen. Allwo der verstellete Rübezahl in eines andern Mannes Gestalt ihme erschienen; derentwegen er denn etwas gestutzet und nicht gänzlich gewußt hat, ob es der Rübezahl selber wäre, wiewohl er dennoch gleichwohl auch nicht allerdinges gezweifelt hat, sondern es ein wenig vermutlich gehalten. Derentwegen er denn sich auf geschehene Befragung (welche etwan gewesen war: Wo willst« hin, Bauer, und bei wem hastu hier was zu tun?) also herausgelassen: Ich wollte zum großmächtigen Regenten des Riesengebürges und ihme die hundert Taler zu rechter Zeit wieder zustellen, welche ich vormalen von ihme habe gelehnet bekommen. Drauf der verstellete Geist also geantwortet: O lieber Bauer, der Rübezahl ist lange tot. Gehe jo mit deinem Gelde wieder nach Hause und behalte es; es ist dir gar wohl gegönnet und wird dich kein Mensche weiter darumb ansprechen. Wer war da lustiger gewesen als der Bauer; der mit Freuden nach seinem Dorfe mit dem unvermutlichen Geschenke wieder weggegangen war? Doch gnug.
Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 51f
© digitale Version: www.SAGEN.at