29. Rübezahl erlöset einen Schuhknecht aus dem Galgen.
Es erzählte mir unlängst ein guter Freund aus Breslau, daß ein klein Städtlein etwa zwo Meilen vom Riesengebürge gelegen sei, daselbsten soll sich ein Schuhknecht bei seinem Meister aufgehalten haben, der in Gewohnheit gehabt, gar ofte nach dem Gebürge [Gebirge] hin zu spazieren, wenn er mit seiner Gesellschaft einen guten Montag gemacht gehabt. Nachdem er aber ein lustiger Kopf und verwegener Kumpe gewesen, so soll er sein Vexieren mit dem Rübezahl nicht haben lassen können, sondern soll ihn ohn Unterlaß angefochten, herausgefordert und sonsten verschimpfieret haben. Unter andern Schmähwörtern aber hat er den Berggeist stets zur Verhöhnung einen Rübenschwanz genannt, sagende: Schier dich runter, du Rübenschwanz, und laß sehen, was du vor Künste kannst! Mit diesen und andern losen Worten mehr soll der grobe Gesell den Bergherrscher vielmals geäffet haben, welches denn der Geist allezeit schmerzlich befunden und nach seiner alten Manier stets ein Wetter deswegen erreget hat, dem giftigen Spottvogel auf seinen Kopf zu bezahlen. Aber weil jener Verleumder niemals aufs Gebürge selbsten gekommen, sondern allezeit unten geblieben, da des Rübezahls Gebiete aufgehöret oder sich kaum so weit hinaus erstrecket, so hat er seinem Widersacher wenig abzuhaben vermocht mit solchem erregten Donnerwetter oder Platzregen. Doch ist dennoch der erzörnete Berggott auf eine andere Rache auszuüben oder Hinterlist zu stiften bedacht gewesen, welche er auch auf folgende Art ins Werk gesetzt. Nämlich, wie der Schuhknecht von seinem Meister Abschied nehmen und von hinnen anderswohin wandern wollen und hierzu sich allerdings fertig gemacht, auch mit seinem Felleisen, da er hinein gesteckt, was etwa nur sein Eigenes gewesen - der Rübezahl aber hat nachdem etliche Sachen aus des Schusters oder Meisters Kasten heimlich genommen, nämlich einen silbernen Becher, etliche silberne Löffel, samt nicht wenigen schönen Schaupfennigen, und hat solches alles unvermerkt in des Reisefertigen Felleisen gepartieret; darmit auch der Schuhknecht auf- und darvongegangen, bis nicht lange hernach, zweifelsohne aus Eingeben des Rächers, der Schuster seinen Raritätenkasten oder Kleinodienkiste eröffnet und einen neuen Schaupfennig zu den vorigen hat tun wollen. Siehe, was der Henker nicht tut: da wird er in großer Bestürzung gewahr, daß seine herrliche Schätze geraubet gewesen, hält drauf Nachfrage im ganzen Hause, ob er möchte hinter den Täter geraten. Wie er seine Hausgenossen aber alle unschuldig befindet, besinnet er sich auf seinen abgeschiedenen Knecht, als wenn der ihme wohl dürfte das Schelmstück gerissen und den Dankhab hinter sich gelassen haben. Eilet derhalben hinter ihm daher und ertappet ihn etwa auf anderthalb Meil Weges vom gedachten Städtgen; packt ihn an, setzt ihn zu Rede und fraget gar scharf von ihme, ob er nicht ungefähr dieses oder jenes Verlornes gesehen oder ungefähr zu sich gesteckt hätte? Der Schuhknecht antwortet gar freudig, er wüßte von solchen bezüchtigten Sachen das Geringste nicht, so hätte er ihm aufrichtig und nicht schelmisch gedienet; wollte er es nicht glauben, so hätte er seinen Ränzel da, denselben wollte er freiwillig aufschließen und alles herauslangen, was drinnen vorhanden wäre. Hierauf nimmt er die Untersuchung für die Hand und sänget an, seinen Reisesack auszuleeren, und bekommt auch unverhofft des Schusters vermissete Sachen in die Hand, drüber er erschrickt, der Schuster aber lustig wird. Was sollte der gute und unschuldige Knecht machen? Er entschuldigte sich aufs Äußerste und beteuerete es, daß er gar nichts von diesem ungefährlichen Diebsstahl wüßte; es müßte diese entfernete Sachen ihm ein anderer aus Rachgier heimlich beigebracht und mit eingeschoben haben, sonsten könnte ers mit Gott beteuren, daß er von solcher Entwendung nichts gewußt habe. Aber der Schuster kriegt ihn bei der Kartause, schleppt ihn fürs Gerichte und läßt ihn vollends nach Hause führen, da er eingesteckt und endlich zum Tode des Galgens verdammet wird; da er dennoch aber immer standhaftig, nach seinem guten Gewissen, darbei verbleibet, daß er unschuldig zu diesem Falle komme, gedenkende, daß er zwar gerne sterben wollte, weil er es vielleicht sonsten an dem lieben Gott möchte verschuldet hüben, daß er diesen Gang gehen müßte, aber dieser Diebstahl brächte ihn mit Recht nicht darzu. Was geschicht? Wie itzt der letzte Tag anbricht, da er soll gerichtet werden, da kommt Rübezahl zu ihm ins Gefängnüs [Gefägnis], doch in unerkannter Gestalt, und fraget ihn, was er hie mache? Jener antwortet: Was soll ich leider machen? Hier wollen sie mich heute ohne Henkers Dank henken, weil ich soll was gestohlen haben, da ich doch kein Dieb nicht gewesen bin. Drauf der Rübezahl antwortet: Siehe, mein Kerl, diesen Schimpf habe ich dir gemacht, weil du mich ofte mit deiner unnützen Schnauze angetastet und ohn Ursache droben Rübenschwanz angeschrien hast; doch will ich dich hierumb nicht gänzlich verderben lassen, sondern nach erlittener Inkarzerierung gleich itzt erlösen. Drauf hat er ihme die Ketten und Bande abgemacht und sich selbsten hineingeschlossen. Weiter hat er den Schuhknecht auch unsichtig gemacht und aus der VerHaft herausgebracht, auf freien Fuß gestellet, daß es kein Mensch inne geworden. Noch weiter soll er auch dem Schuhknecht befohlen haben, daß er umb eine Weile, nach geschehener Exekution, in der Stadt rumgehen und sich öffentlich zeigen soll, weil er nunmehr sicher und außerhalb aller Gefahr lebete. Und indeme kommt ein Pfaffe ins Gefängnüs zu dem armen verstellten Sünder, nämlich dem Rübezahl, hält an, er soll fieißig beten, sein letztes Stündlein sei nunmehr vorhanden; ja er müßte jetzund zu guter Letzte hier alle seine Sünden bekennen und beichten, drauf wolle er ihm das Abendmahl reichen. Des Rübezahls seine Gegenred aber war immer gewesen diese: Päperle päp. Und so soll er etliche tausendmal gesagt haben, wie ihme der Pfaffe anmuten wollen, daß er müsse Buße tun und andächtig beten. Wie nun aber hieraus nichts anders hat werden wollen als lauter Päperle päp, so sollen die Gerichte dennoch umb reife Zeit den päperlepäpischen Rübezahl zum Tor hinaus geführet und an den lichten Galgen gehängt haben, darzu er dennoch immer sein gewöhnliches und schnakhaftiges Päperle päp gesaget, bis der Diebshenker von der Leiter wieder herunter gewesen, da sie alle miteinander eine große Schütte Stroh am Galgen gesehen und behalten haben. Hierüber soll das Städtlein bis auf den heutigen Tag seine Gerechtigkeit oder Gerichte verloren haben.
Quelle: Bekannte und unbekannte Historien von Rübezahl, Johannes Praetorius, 1920, S. 27ff
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