Das Ende des Königreichs Thüringen
im Jahre 531
IV. Der Jagdfalke
In dieser Notlage wendet sich der König der Thüringer an Theuderich. Iring, der erfahrene und gewandte, getreue Gefolgsmann und Berater wird mit einer demütigen Botschaft und reichen Schätzen (einen Teil davon braucht er, um die fränkischen Heerführer zu bestechen) zu Theuderich gesandt, um Frieden zu erbitten und freiwillige Unterwerfung zu geloben.
Nur mit Widerstreben läßt sich der Frankenkönig von seinen Heerführern bereden, Gnade zu üben. Am folgenden Tage will er Irminfried empfangen. Iring dankt dem Frankenkönig und sendet allsogleich einen Boten mit der frohen Botschaft an Irminfried, bleibt aber selbst im fränkischen Lager, damit nicht noch eine Sinnesänderung des Frankenkönigs einträte.
Da durch die Botschaft Irings die belagerte Burg ruhig und der Frieden in greifbare Nähe gerückt war, verläßt der Thüringer Wito die Burg, um seinen Jagdfalken auf einen Reiher stoßen zu lassen. Ein Sachse, auf dem südlichen Ufer des Flusses, fängt beide Tiere und gibt den Falken erst dann wieder frei, als Wito ihm ein Geheimnis preisgibt: Die beiden Könige hätten Frieden miteinander geschlossen, und am folgenden Morgen würden die Sachsen in ihrem Lager überfallen werden. Dadurch, daß Wito zu Pferde die Unstrut überschreitet, um seinen Falken in Empfang zu nehmen, verrät er auch die Furt, durch die die Sachsen ungehindert in die Nähe der Burg gelangen können. Bei dieser Nachricht sind die Sachsen zunächst einmal ratlos, aber ein alter kraftvoller Krieger, Hathagat, reißt durch eine flammende Rede die Sachsen dazu hin, dem Feinde zuvorzukommen und noch in der Nacht die sich in Sicherheit wiegenden und ahnungslos schlafenden Thüringer in der Burg zu überfallen. Den übrigen Tag verwenden die Sachsen darauf, sich zu stärken und zu erfrischen, und mitten in der Nacht greifen sie zu den Waffen, stürmen die Mauern und dringen mit gewaltigem Geschrei in die unbewachte Burg ein.
Einige Thüringer suchen ihr Heil in der Flucht, andere irren wie trunken umher, andere fallen den Sachsen in die Hände, indem sie diese verkannten und für die ihrigen halten. Die Sachsen aber töten alle erwachsenen Männer, die jüngeren sparen sie für die Knechtschaft auf. Es ist eine Nacht voller Geschrei, Mord und Plündern, bis die Morgenröte den verlustlosen Sieg der Sachsen beleuchtet.
Durch Irminfrieds Tod oder Gefangenschaft wäre der Sieg vollkommen gewesen, aber man stellte fest, daß er sich mit Frau und Kindern und nur wenigen Begleitern durch die Flucht gerettet hatte. Am folgenden Tag, in der Morgenstunde, stellten die Sachsen vor dem östlichen Tor ihre Stammeszeichen auf und errichteten einen Siegesaltar, eine "hohe Säule", und nach den von den Vätern übernommenem Brauche feierten sie drei Tage ein Siegesfest.
Dann zogen sie ins fränkische Lager, das zwischen dem Bache (die
Blinde) und der Unstrut gelegen war und forderten ihren Anteil.
Quelle: Sagen und
Legenden aus Nebra (Unstrut), Gesammelt und neu erzählt von Rudolf
Tomaszewski, Nebra 1987