Graf Ludwig und die schöne Adelheid
V. Ludwig der Springer
Als Pfalzgraf Friedrich III. von Sachsen ermordet und der Verdacht, diese Tat angestiftet, wenn nicht gar selbst verübt zu haben, auf den Grafen Ludwig II., den Salier, gefallen. war, verklagten ihn die Verwandten des Toten beim Kaiser.
Das Dunkel, das über der Mordtat lag, wurde jedoch nicht aufgehellt, trotzdem ging der Kaiser gegen den Grafen Ludwig vor.
Auf einem Ritt von Sangerhausen nach Magdeburg wurde er überfallen und als Gefangener nach dem Giebichenstein an der Saale gebracht. Von dieser Burg ging das Sprüchlein im Lande um: Wer da kommt nach Giebichenstein, der kehrt selten wieder heim!
Hier mußte Ludwig in einer Gefängnisstube, hart am Felsen, sein Leben fristen, bis der Kaiser über sein ferneres Schicksal verfügt haben würde.
An eine Flucht war nicht zu denken, da sein Gefängnis hoch auf dem Felsen lag, der steil zur Saale abfiel. Deshalb konnte Ludwig sich auch in seiner Kemenate frei bewegen, ohne Fesseln, nur durfte er sie nicht verlassen. Ständig wurde er von mehreren Wächtern bewacht.
Obwohl sehr wenig Aussicht bestand, daß er sich je wieder der goldenen Freiheit und seiner Gattin erfreuen würde, gelobte er doch, dem heiligen Ulrich in Sangerhausen ein treffliche Kirche zu bauen, wenn er mit dem Leben davonkommen und frei sein sollte. Und das Schicksal war ihm gewogen.
Da er nie einen Fluchtversuch unternommen hatte, die Tür obendrein ständig fest verschlossen und stark mit Eisen beschlagen war, wurden die Wächter sorglos und fingen an, sich die Langeweile mit dem Brettspiel zu vertreiben.
Indessen reift in Graf Ludwig ein verwegener Fluchtplan. Er stellte sich so, als ob er jeglichen Lebensmut verloren hätte, nahm keine Speisen mehr zu sich, heuchelte vor den Wächtern eine heftige Krankheit und meinte, ihn werde wohl bald der Tod von seinem Elend erlösen. Dann bat er, doch seinen Schreiber und den Leibdiener holen zu lassen, damit er seinen letzten Wunsch aufzeichnen lassen könne.
Heimlich gab er beiden den Auftrag, seinen Schimmel, "der Schwan" genannt, ab sofort in der Nähe des Giebichensteins, direkt an der Saale, bereitzustellen, auch sollten seine treuesten Diener, als Fischer verkleidet, zusammen mit Weißenfelser Fischern mit einem Kahn auf der Saale im Angesicht der Burg ankern und so tun, als ob sie ihre Netze stellen wollten.
Am anderen Tag gab Ludwig an, heftiges Fieber zu haben. Er lief in der Stube auf und ab, als wollte er sich erwärmen, und klagte, daß ihn schrecklich friere.
So erreichte er, daß ihm einer der Wächter einen weiten Mantel gab, in den er sich einwickeln konnte. Und da die Krankheit am nächsten Tag scheinbar anhielt und noch zunahm, bekam er noch mehr Kleidungsstücke, die er alle überzog.
Während er aber stöhnend und auf einen Stock gestützt hin und her ging, beobachtete er zugleich durch eine mannshohe Öffnung die Gegend. Er öffnete auch das Gitter, damit ungehindert noch mehr wärmere Luft hereinströmte. Dabei beobachtete er jedoch unaufhörlich weiter. Schließlich entdeckte er mehrere Fischer, die sich auf dem Flusse zu schaffen machten und endlich das verabredete Zeichen gaben. Da schwang sich Ludwig plötzlich, während die Wächter ganz in ihr Spiel vertieft waren, durch die Öffnung auf den Felsvorsprung und sprang von hier aus mit kühnem Sprung aus großer Höhe in die Tiefe. Den Mantel hatte er dabei weit ausgebreitet, so daß sich die Luft in ihm fangen konnte und die Wucht des Aufpralls minderte. So blieb er unverletzt, als er aus dem Wasser auftauchte. Hier waren die Fischer schnell mit dem Kahn zur Stelle, zogen ihn aus dem Wasser und brachten ihn ans Ufer, wo sein Leibdiener mit dem Schimmel wartete. Nachdem er schnell umgekleidet worden war, galoppierte er mit Windeseile in Richtung Sangerhausen, wo ihn bereits seine Gemahlin erwartete und glücklich in die Arme schloß.
Die Wächter aber hatten das Nachsehen. Als sie schließlich seine Flucht bemerkten, war er längst schon in Sicherheit.
Aus Dankbarkeit für seine glückliche Rettung erbaute Graf Ludwig
in Sangerhausen eine Kirche und weihte sie dem heiligen Ulrich. Die Fischer
von Weißenfels aber erhielten die Gerechtsame und durften seitdem
auf der Saale von Giebichenstein bis zur Mündung der Ilm "auf
ewige Zeiten" fischen. Der Graf Ludwig aber erhielt von diesem Tage
an den Beinamen "Ludwig der Springer".
Quelle: Sagen und
Legenden aus Nebra (Unstrut), Gesammelt und neu erzählt von Rudolf
Tomaszewski, Nebra 1987