Muttertränen in Perlen verwandelt
Einst wollte eine arme Witwe ihren Flachs an der Unstrut rösten. Beim Anblick des Flusses aber mußte sie bitterlich weinen, denn erst kürzlich war ihr einziges Töchterlein in die Unstrut gefallen und seitdem verschwunden.
Zahlreich rollten ihr die Tränen über die Wangen und mischten sich mit dem Wasser des Flusses.
"Oh, du mein liebes einziges Kind, da liegst du nun tief unten im kalten Wasser begraben", so klagte sie. "Oder hat dich vielleicht die Nixe um deiner Schönheit willen mit sich genommen in ihr feuchtes Reich? Ach, nur ein einziges Mal noch möchte ich dich sehen, du mein herziges Kind!"
Bei diesen Worten der unglücklichen Mutter flössen die Wasser plötzlich ruhiger dahin, und leiser Gesang ertönte aus der Tiefe des Flusses. Da tauchte die Nixe aus dem Wasser empor, in den Armen ruhte das so schmerzlich beweinte Kind.
Als nun die Mutter flehendlich bat, ihr das Kind doch wiederzugeben, dafür ihr eigenes Leben im Tausch zu nehmen, schwebte die Nixe mit leichtem Fuße über das Wasser zu der Bittenden und legte ihr das tote Kindlein in die Arme.
Mit tränenden Augen betrachtete die Mutter ihren kleinen Liebling und sagte dann zu der Nixe: "Hast du es getötet? Nein, so grausam kannst du doch nicht sein, denn voller Teilnahme blicken deine Augen. Gewiß ist es ohne deine Schuld ertrunken und du hast es nicht retten können. Und so will ich es wenigstens begraben in guter Heimaterde und ihr Grab schmücken mit schönen Blumen, die sie so gern mochte." "Tu es, arme Mutter, und damit du es kannst, so nimm diese Perlen hier in goldener Schale. Es sind deine Tränen, die ich aufgefangen und in Perlen verwandelt habe."
Also sprach die Nixe und verschwand in den quirlenden Wassern der Unstrut.
Quelle: Sagen und
Legenden aus Nebra (Unstrut), Gesammelt und neu erzählt von Rudolf
Tomaszewski, Nebra 1987