HEXENTANZ AUF DEM BUDER
Es ist nicht immer so still gewesen auf Hörnum, wie es jetzt ist. Als die meisten der alten einheimischen Hörnumer Heringsfischer, die wegen der Rochelgeschichte und wegen des Aufruhrs einst hatten flüchten müssen, tot waren - viele waren ertrunken -, kehrten die übrigen wieder heim nach Hörnum. Sie brachten aber so viele fremde Fischer und Seeräuber, die sie während ihrer Abwesenheit getroffen und kennengelernt hatten, mit nach Hause nach dem Hafem am Buder, daß diese die Mehrzahl ausmachten und das Kommando an sich rissen.
Diese einheimischen und fremden Fischer und Seeleute nahmen Besitz von den alten Erdhütten am Buder und hausten nun alle Winter lustig, aber auch oft heillos auf Hörnum und überall auf Sylt. Sie drängten sich allenthalben naseweis hinein, vor allem in die Tanzgelage der übrigen Sylter. Oft entzweiten sich die Sylter mit ihnen und jagten sie fort, besonders wenn gegen Schluß der Lustbarkeiten die Köpfe erhitzt waren und die Hörnumer sich weigerten, an der Bezahlung der Zeche teilzunehmen.
Da nun nach alter Weise von Martini bis Petritag an allen Abenden der Woche in irgendeinem Dorf der Insel getanzt wurde, mit Ausnahme des Sonnabends, der Messe am Sonntage wegen, so beschlossen die Hörnumer und Rantumer, die den Sonntagsgottesdienst fast niemals feierten, einen Tanz am Sonnabendabend anzustellen. Sie luden, damit es nicht an Tänzerinnen fehlen möchte, nicht bloß die Sylter jungen Mädchen, sondern auch alle tanzlustigen Föhrer- und Amrumerinnen ein, an ihren Gelagen und Tänzen teilzunehmen. Wenn das Wetter gut und heller Mondschein war, so hielten sie ihre Tänze im Freien, im Kressen-Jakobstal oder auf der alten Ratsburg. War das Wetter aber schlecht, so tanzten sie in irgendeiner Scheune in Rantum.
Eines Sonnabends war es nun schöner heller Mondschein, ein mildes, windstilles Wetter. Die Hörnumer erwarteten große Gesellschaft und stellten diesmal ihren Tanz in dem weitläufigen Kressen-Jakobstal rings um eine kleine Frischwasserstelle an. Die Rantumer, Westerländer und Tinnumer Mädchen hatten sich in großer Zahl eingefunden. Sie hopsten und sprangen mit den Fischern schon lustig umher und sangen dabei ihre schönsten Lieder, denn andere Musik gab es damals noch nicht auf Sylt.
Da verfinsterte sich auf einmal die Luft. Es kam, nicht etwa zu Schiffe über das Wasser, sondern auf Besen durch die Luft reitend, ein großer Schwärm von Föhringer und Amrumer Hexen herangeflogen. Sie ließen sich auf dem alten Hexenberge Buder nieder, begannen hier rings um den Gipfel einen lustigen Reigentanz und stimmten einen noch viel schöneren Gesang als die Sylterinnen im Tale an.
Die lockeren Hörnumer Gesellen sahen und horchten hoch auf, als der Spuk auf dem Buder losging. Einer nach dem ändern zogen die neugierigen Buben bergan und begannen, sich mit den verführerischen Hexen rings um den luftigen und sandigen Gipfel zu drehen. Das war ein ganz anderer Tanz und Gesang als der der schwerfälligen Sylterinnen im Tal. Die leichtfüßigen Föhrer Mädchen schienen auf dem Berge zu schweben, berührten nur mit den Zehen den sandigen Tanzboden und hoben selbst ihre derben Tänzer wieder empor, wenn diese bis an die Knöchel in den lockeren Sand eintraten. Wurden die Herren durstig, so hatten die lieblichen, aber listigen Dirnen einen köstlich schmeckenden Hexentrank, durch welchen sie die Tänzer erquickten, aber auch berauschten. Diese jubelten und hurraten dermaßen, daß man es auf Amrum hören konnte und schwuren wiederholt, daß sie in ihrem Leben nicht so fröhlich gewesen und an keinem so schönen Tanze je teilgehabt hätten.
Als die Sylterinnen solches bemerkten, wurden sie sehr neidisch und bitterböse. Sie spotteten und hohnlachten freilich, als ob es ihnen gleichgültig wäre, was sie erfahren, allein im Herzen ärgerten und grämten sie sich sehr über den Schimpf, den sie erlebt hatten. Sie zogen voll Gift und Galle wieder heim. Unterwegs machten sie ihrer Galle Luft und schwuren, nie wieder nach Hörnum zum Tanz zu gehen, nie wieder mit den falschen und gemeinen Leuten auf Hörnum Umgang zu halten.
Es waren aber unter ihnen auch einige der Zauberei Kundige. Diese, elf an der Zahl, waren natürlich die Anführerinnen der Gesellschaft. Sie sprachen zu den übrigen:
"Ihr habt noch keine Erfahrung, ihr wißt nichts, laßt uns nur machen. Wenn die Hörnumer im Frühling wieder ausfahren zur See, so soll keiner von ihnen lebendig wieder heimkehren, das versprechen wir euch."
"Ich klage sie des Seeraubes bei dem Hamburger Rat an", sprach eine.
"Das tut nicht nötig", sprach eine andere. "Wir legen ihnen bei ihrer Abreise Knoten in den Weg, jede von uns sieben, das macht 77 Knoten. Daran werden sie, zumal in der Dunkelheit der Morgenstunden, nicht vorbeikommen, ohne darauf zu treten, und das ist genug zu ihrem Untergange."
Kleine Stücke Tau mit einem Knoten darin, die man an Wegen und auf dem Felde auf den friesischen Inseln häufig findet, wurden von alters her stets als in böser Absicht hingelegte Hexenknoten bezeichnet. Man rührte sie nicht an, sondern ging ihnen aus dem Wege, wenn man sie gewahrte. "Leg Knoten hin vor jedermann! Bring jeden, nur dich nicht, zu Fall!" lautete eine alte Hexenregel.
"Nein, ich weiß noch einen besseren Rat, um unsere Absicht sicher zu erreichen", sprach eine dritte. "Wir schleichen heimlich in der Nacht zu ihren Netzen, die sie gewöhnlich draußen lassen zum Trocknen, und schlagen unsere Hexenknoten daran fest. Die Netze müssen sie mitnehmen auf die See, wenn auch nur, um den Schein von Fischern zu haben. Dann können sie unserer Kunst nicht entgehen. So werden alle umkommen."
"Tut nicht nötig", sprach eine vierte. "Kennt ihr Hamburger Nägel? Nun, ich habe neulich ein kleines Faß mit echten achtzölligen Hamburger Nägeln, auf welchen das Wappen der Stadt deutlich sichtbar ist, am Strande gefunden. Das Faß enthielt 77 große neue Wracklinge. Drei davon habe ich bereits gebraucht, nachdem ich meine Kunst daran geübt hatte, und die Wirkung entsprach völlig meiner Erwartung.
Einen legte ich hin für meinen Nachbar, auf den ich böse war, und er trat sich ihn in den Fuß, so daß er noch jetzt davon lahm ist. Den ändern schlug ich meinem früheren Bräutigam, der mir untreu geworden war, verkehrt in sein Boot zwischen Steven und Kiel, so daß er beim Fischfang zugrunde ging. Den dritten schlug ich der über seinen Tod schwermütig gewordenen Närrin, die mir den Bräutigam weggekapert hatte, heimlich an die Wand ihres Bettes, und richtig, sie erhängte sich in der folgenden Nacht an dem Nagel.
Ihr seht also, das sind wahre Glücksnägel, sobald man sie dazu gehörig besprochen, gesalbt und geweiht hat. Darum laßt mich nur machen und raten. Ich will schon einem der Ungetreuen das Faß mit den Nägeln in sein Fahrzeug bringen. Er wird, wenn er es findet, weder Nägel noch Faß über Bord werfen. Aber merkt nur später darauf, wenn es erfüllt wird, so viele Nägelköpfe in dem Faß sind, so viele Menschenköpfe werden die Hamburger dafür fordern."
"Der Rat ist gewiß der beste", sprachen die meisten der übrigen Hexen. Doch waren auch einige der Meinung, daß es nicht schaden könne, wenn sie die 77 Hexenknoten den Hörnumern auf ihre Fußsteige und Nachtwege streuten.
"Ihr legt großen Wert auf die verdoppelte böse Zahl 7", entgegnete die Hauptratgeberin. "Ich achte mehr auf die Jahreszahl 88, die wir im nächsten Jahre haben werden, die wird viel Ach und Weh, viel Elend und Unglück bringen."
Alle verwunderten sich über die Klugheit der Hexe und nahmen ihren Rat einstimmig an.
"Wundert euch nicht, daß ich etwas mehr verstehe als ihr ändern", sprach diese. "Ich habe neun Jahre als Haushälterin bei dem Priester Georg gedient, und der ist mein Hexenmeister gewesen in der schwarzen Kunst. Ich habe schon lange den Wunsch gehabt, seinen Tod an den unlenkbaren Hörnumern zu rächen. Jetzt habe ich die beste Aussicht, diesen Wunsch erfüllt zu sehen."
Die Hörnumer fuhren nun im nächsten Frühjahr wieder auf die See, auf den Fischfang und Seeraub aus. Sie waren aber noch nicht lange fort von Sylt, als sie unweit der Mündung der Elbe von Hamburger Kriegsschiffen überholt wurden. Man fand wirklich das Faß mit den Hamburger Nägeln versteckt auf dem Schiffe des Anführers der Bande. Da sie auf die Frage, wie sie zu diesen Nägeln gekommen seien, keine genügende Antwort geben konnten, wurden sie als des Diebstahls verdächtig gefangengenommen und nach Hamburg geführt.
Hier konnte man sie lange nicht des Seeraubes überführen, bis endlich ein Hamburger Schiffer vor das Gericht trat - wie einige meinen, die listige und boshafte, als Schiffer verkleidete Hexe von Rantum. Er erklärte, daß die Nägel ihm gehörten und ihm an dem Ufer von Hörnum abhanden gekommen seien. Das war dem hochweisen Rat Grund genug, um die Gefangenen alle, 74 an der Zahl, auf dem Grasbrook bei Hamburg köpfen zu lassen.
Dieses traurige Ende der Hörnumer Fischer war aber ganz gewiß das Rachewerk der schrecklichsten Hexe, die je in Rantum gelebt hat.
Quelle:Wilhelm Jessen, Sylter Sagen, nach den
Schriften des Heimatforschers C. P. Hansen, Westerland auf Sylt, 1925