Der Elbel
In der Gegend um Mihla und an diesem Orte selbst heißt der wilde
Jäger der Elbel, hochbedeutsam für den deutschen Mythus. Er
wohnt in den Felsklüften über der Wüstung Wernershausen,
wo einst ein Burgsitz derer von Wangenheim war, die bis heute tüchtige
Jäger sind. Höher hinauf nach dem Hainich, der, ein langgestreckter
Bergwald, zwischen dem Unstruttal und dem Werra- und Hörseltal sich
hinzieht, ist der Elbelstein und die Elbelskanzel. Elbel und seine Jagd
durchsausen und durchbrausen den Hainichwald und seine Angrenzungen, das
ist sein Revier. Ein Herr von Harstall zu Mihla, der zur Zeit des Dreißigjährigen
Krieges lebte, hatte einen Leibjäger, das war ein wilder Waidgesell,
hieß aber weder Mär noch Kaspar, sondern Hölzerkopf, dem
stieß einmal auf einem Pirschgange der Elbel mit seiner Jagd auf,
voran floh und flog ihr im vollen Laufe eine schöne Jungfrau mit
flatterndem Haar, die dem Hölzerkopf so wohl gefiel, daß er
sich gleich selbst zum Elbel wünschte. Unmutig, daß solches
Wild nicht für ihn, schoß er, als die wilde Jagd vorbeigesaust
war, seine Büchse aufs Geratewohl ab, und siehe, der Schuß
geriet sehr wohl, denn ein Rehbock, den er zuvor gar nicht gesehen hatte,
brach angeschossen durchs Dickicht, stürzte zu seinen Füßen
hin und verendete. Von da an traf jeder Schuß, den Hölzerkopf
tat, ein jagdbares Hochwild, und er merkte nun, daß der Elbel es
angenommen, daß er sich ihm verlobt. Eines Tages, als Hölzerkopf
mit seinem Herrn zur Jagd zog, setzte er sich nieder und begann zu frühstücken,
während der Herr von Harstall weiter wollte und unwillig fragte,
was das heißen solle. - Können's ja bequem haben, gnädiger
Herr! sprach Hölzerkopf, wir wollen die Hunde loslassen, uns aber
nicht ermüden. - Tat's, ließ die Hunde los, trank einmal, spannte
den Hahn, schoß ins Blaue, da sprang gleich ein stattlicher Edelhirsch,
fast aufs Blatt getroffen, heran, und Hölzerkopf reichte dem Herrn
von Harstall das Waidmesser und sprach: Gnädiger Herr, beliebt dem
Sechzehnender den Genickfang zu geben? - Ha! du bist ein Freischütz!
rief der Herr von Harstall und warf den dargebotenen Hirschfänger
von sich, denn er war gar ein frommer Herr. Du hast deinen Abschied, du
magst fortan dem Elbel dienen, nicht mir! - Das will ich auch, mit dero
gnädiger Erlaubnis, sprach trotzig der Hölzerkopf, setzte seinen
Hut auf, warf die Büchse über, trank noch einmal, schmiß
sein Glas in Scherben und ging ohne Gruß und Dank von dannen. Fortan
ist dieser Jäger nie anders als im Gefolge des Elbel erschienen,
und oft hat man ihn bei diesem im Zwielicht auf dem Anstand auf dem Elbelstein
stehen sehen. - Heutigen Tages ist auch im Hainichwalde, den die neue
Straße von Eisenach und Mihla nach Mühlhausen mitten durchschneidet,
nicht mehr viel zu jagen, und die Freischützen sind rar geworden.
Hölzerköpfe gibt es noch in Menge - ja - aber sie sind leider
Gottes keine Hexenmeister.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853