Der Mönch von Reifenstein
Im Eichsfeld zwischen Worbis und Mühlhausen lag ein Kloster des
Namens Reifenstein, das war uralten Ursprunges. Ein Kriegsobrist des Hunnenkönigs
Attila, welcher Rive hieß, kam in diese Gegend, ersah sich einen
Berg und baute eine Burg darauf, die er Rivestein nannte. Noch ist ihre
Stätte gekannt und heißt die alte Burg, der Wald um sie her
wird der Burghagen genannt. In später Zeit erwarben die Grafen zu
Gleichen und Tonna, denen auch die nahe Burg Gleichenstein gehörte,
den Reifenstein, und einer dieser Grafen namens Ernst, welcher söhnelos
war, gründete im Tale unter dem Burgberge ein Zisterziensermönchskloster,
dazu er Mönche aus dem Kloster Volkenrode nahm und es reich begabte.
Damals war das Land umher noch kaum bebaut, nur ein Dörflein, Albolderode,
lag in der Nähe. Durch gute und schlechte Zeiten brachte Kloster
Reifenstein sich hin, bis die allerschlechteste ihm kam, die Zeit des
Bauernkriegs. Da war im Kloster ein nichtsnutzer Mönch des Namens
Heinrich Pfeifer, eigentlich Schwertfeger, dem gefiel es nicht in der
Kutte und in der Zucht, war tückischen, verschlagenen, boshaften
Wesens, mußte oft wegen seiner schlechten Aufführung Pönitenz
tun, und da er dies satt hatte, entsprang er aus Reifenstein, zog die
Kutte aus und mit ihr den Christen, ja den Menschen. Er warf einen tödlichen
Haß auf alle Klöster, vor allem aber auf Reifenstein, rannte
nach Mühlhausen und begann dort sein aufwieglerisches Treiben, brachte
Verwirrung und Zwietracht zwischen Rat und Gemeinde, verband sich mit
dem von Altstadt entlaufenen Pfarrer Thomas Münzer und wiegelte unter
Vorwand und Larve der Berechtigung aus göttlichem Wort das gemeine
Volk auf, dem nichts lieber war, als nicht zu arbeiten und Korn und Tuch
den Reichen aus christlichem Recht abzufordern, denn Christus habe geboten,
sagten diese Kommunisten von 1525, mit den Dürftigen zu teilen. Wer
da nicht willig gab, dem ward das Seine mit Gewalt genommen. Als der Pfeifer
sich sicher sah in einer Rotte aufwieglerischen Gesindels, da hatte er
einen schönen Traum - die Rottführer solcher Art haben immer
schöne Träume - wie er eine große Herde Mäuse in
den Sack jagte, das deutete er also, daß er, der Pfeifer, den ganzen
Adel und die Klerisei auf dem Eichsfeld und im Thüringer Lande zu
vertilgen und aufzureiben von Gott berufen sei, unternahm daher, trotz
Münzers Widerraten, einen Raubzug ins Eichsfeld, brach und verbrannte
Klöster und Burgen, während der Schwarmhaufe von Langensalza
die Klöster Schlotheim und Volkenrode verwüstete und den Raub
nach dem Dorfe Germar nahe Mühlhausen führte; dorthin kam die
Bande Pfeifers mit neun Wagen voll Glocken, Haus- und Kirchengerät
und Geschmeide. Da empfing sie der Münzer freudiglich als echt christliche
Brüder und hielt ihnen vom Pferd herab eine Predigt von der Freiheit
und Brüderlichkeit und teilte den Raub. Dann wurden die Schlösser
Ebeleben und Almenhausen geplündert und verbrannt, andere Klöster
auch heimgesucht und wurde nochmals in das Eichsfeld eingefallen und vor
Heiligenstadt gerückt. Da ging es, wie es zu allen Zeiten geht, daß
die Bürger teils im Herzen schon dem Aufruhr zugeneigt sind, teils
das Herz selbst in der Kniekehle haben und, statt den Raubbanden mit festem
Mut entgegenzutreten und ihnen ihr schmutziges Handwerk zu legen, sie
einlassen und um die Spitzbuben scherwenzeln. Heiligenstadt nahm die neuen
wunderlichen Heiligen mit Karst und Dreschflegel im Dreckkittel so freundlich
auf, wie es kaum die lieben Gottesheiligen aufgenommen, wenn solche hätten
kommen mögen, und was noch nicht von Klöstern und Schlössern
geplündert und verwüstet war, das ward es nun. Ein gewisser
Michael Zimmermann lief nach Bartloff, holte Feuer allda und steckte damit
Reifenstein in Brand. Als der unsinnige Aufruhr seinen Gipfelpunkt erreicht
hatte, setzte Thomas Münzer den trefflichen Pfeifer zum Statthalter
in Mühlhausen, und als das Bauernschlachten bei Frankenhausen erfolgt
war, entwich auch dieser Held schimpflich zu heimlicher Nachtzeit, wurde
verfolgt, eingeholt, gefangen und ihm hernach am Hohlweg nach Buttstädt
zu der Kopf abgeschlagen. Er zeigte keine Reue und erlitt den Tod mit
trotzigem Gemüte. Für sich selbst hat er nichts erlangt, auch
nichts gewollt, aber über die Stadt Mühlhausen brachte er nachhaltiges
Weh, schwere Sühne und den lastenden Druck der verbundenen rächenden
Fürstenmacht über des Reiches freie Stadt.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853