Der Venetianer
Ein Wale kam alljährlich in das Lauchatal, der wußte, daß
das Sprichwort wahr sei, das am Inselberge üblich ist: Es wirft oft
ein Hirte mit einem Stein nach der Kuh, der mehr wert ist als die Kuh
selbst. Ein junger Bursch aus Cabarz oder Tabarz mußte dem Walen
als Führer dienen, der wurde hernachmals, da der Venetianer längst
nicht mehr kam, ein Fuhrmann und kam weit in der Welt herum, einmal sogar
mit Gütern bis nach Venedig. Da fiel ihm ein Kaufladen in das Auge,
darin blitzte und funkelte an einem Schaufenster alles von Gold und Edelsteinen,
und wohnte da ein reicher Juwelier. Dieser sah den Thüringer stehen
und gaffen und grüßte ihn in deutscher Sprache und war kein
anderer als jener Gold- und Steinsucher, den er früher im Gebirge
geleitet, der sagte ihm, all dieses Gold und alle diese Steine habe er
in dem schönen Thüringen gewonnen, die Thüringer verständen
nicht, es auch zu finden und die Steine zu schleifen, man finde dort nur
ungeschliffene. Mit reichem Geschenk entließ der Venetianer den
Thüringer. Ähnliche Sagen werden viele erzählt; eine fast
gleichlautende auch vom Bayerberg vor der Rhön.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853