Geheul und Geschrei
Zu Frankenhausen, der alten Salzstadt, deren Quellen die Franken behaupteten,
als in den frühen Zeiten Sachsen, Franken und Thüringer in diesen
Gegenden blutige Kämpfe miteinander hatten, und die von den Franken
ihren Namen trägt, ist noch ein Rest der alten Schirmfeste gegen
die Sachsen im Hausmannsturm, der Altenburg oder dem alten Frankenhause
zu erschauen. Dort war auch ein Zisterziensernonnenkloster zu Sankt Georg,
und in dessen Kirche stand ein Wunderbild der heiligen Jungfrau Maria.
Selbiges Bild zeigte ein liebliches Engelantlitz und war sanft gerötet,
holdselig zu erblicken in guter und glückseliger Zeit. So aber trübe
Zeiten herannaheten, verblich des Bildes Farbe und lieblicher Schimmer,
und also geschähe es auch im Jahre 1525, da der wilde Schwarmgeist
die Bauern zu hellem Aufruhr nötigte, da sie Burgen und Klöster
brachen, ausplünderten und einäscherten. In jener Zeit sind
die Klöster Ilfeld, Walkenried, Volkenrode, Kelbra, Sittichenbach,
Oldisleben und andere mit ihren herrlichen Kirchen ganz verwüstet
worden, bis die Zuchtrute wie ein Wetter des Herrn auf die Raubrotten
niederschlug. Das -war die Zeit, wo Thomas Münzer den Agitator spielte
und das Volk aufwiegelte und seine Regenbogenfahne wehen ließ und
deren etwa fehlendes Rot mit dem Blut der gemeuchelmordeten Abgesandten
der Fürsten ersetzte. Dem Bauernheer waren aus Frankenhausen und
allen Dörfern der Umgegend die Weiber und Kinder der Gideonstreiter,
die in ihrer Verblendung dem Münzer folgten, auch nachgefolgt, die
bargen sich in einem Walde, von wo aus sie den Berg über der Stadt
sehen konnten, auf dem das Bauernlager aufgeschlagen war. Da nun die Schlacht
mit den Herren der gegen das Bauernheer herangezogenen verbündeten
Fürsten, dem Kurfürsten Johann und Herzog Georg zu Sachsen,
dem Herzog Heinrich zu Braunschweig, Landgraf Philipp zu Hessen, den Harz-
und ändern Grafen, nachdem die zu gütlichem Vergleich entsandten
Botschafter ermordet worden waren, entbrannte, Thomas Münzers lügnerisches
Maulwerk, womit er die armen Bauern betört und verrückt gemacht
hatte, sich als ein klarer und barer Trug erwies und über siebentausendfünfhundert
Bauern mit ihren blutigen Leibern die Walstatt deckten, der ganz in Büffelleder
eingenähte Held aber, wie die meisten solcher Maulhelden, in der
schimpflichsten Flucht vom Schlachtfelde wich und sich in oder unter ein
Bette verkroch, da erscholl von jenem Walde her ein entsetzliches wehklagendes
Geheul und Geschrei der unschuldigen Weiber und Kinder jener durch die
Aufruhrgelüste des Münzer verführten Bürger und Bauern,
die zusahen, wie ihre Väter, Söhne, Brüder, Bräutigame
und Freunde ohne Gnade hingeschlachtet wurden. Darnach wurde jenem Wald
der Name Geheul und Geschrei und jenem Berge der Name Schlachtberg auf
alle Zeiten. Das geschah am Montage nach dem Sonntag, da man in den Kirchen
Cantate sang. Die Bauern sangen auch vor der Schlacht, gar ein schönes
Lied: Nun bitten wir den Heiligen Geist! - aber der Heilige Geist war
ihrem Tun und Treiben so fern, wie fern der Himmel von der Hölle
ist, und konnte ihre Bitten nicht erhören.
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch,
Leipzig 1853