König Dagobert heil
Des Elchsfeldes Hauptstadt heißt Heiligenstadt, und über das
ganze Land weht es wie Weihrauchduft, klingt es wie Klosterglocken. Der
Stadt und dem Lande webt die Sage manch goldnen Heiligenschein. Das rührt
aus frühen, frühen Zeiten her. Der Frankenkönig Dagobert
ward in seinem Alter von schlimmer Krankheit befallen, dem Aussatz, übertrug
die Regierung seinem Sohne und treuen Räten und zog mit seiner Gemahlin
m die Ferne, zu suchen, ob er Heilung fände. Da kam er auf das Eichsfeld
und lebte allda verborgen vor dem Auge der Menschen in einer Einöde,
erbaute sich da einen Wohnsitz und diente Gott in einer Kapelle, die er
der heiligen Jungfrau und Sankt Petrus weihte. Die Zeit, die König
Dagobert nicht im Gebet zubrachte, vertrieb er sich mit der Jagd, und
auf einem seiner Jagdgänge ward er von so großer Müdigkeit
befallen, daß er sich in das Gras niederlegte und alsbald entschlief.
Da der König erwachte, fand er das Gras stark betaut, aber alle Teile
seines Körpers, welche der Tau benetzt hatte, waren zu seiner großen
Freude heil vom Aussatz und rein wie die Haut eines jungen Kindes. Da
eilte er fröhlich zu seiner Gemahlin und kündete ihr das Wunder,
und sie riet ihm, sich noch öfters an jener Stelle in das taufeuchte
Gras zu legen, und so wurde er ganz heil. Und da sprach er: Wahrlich,
hier ist der Heilung und der Heiligen Statt! Und darauf ward dem König
durch einen Traum offenbart, daß an jener Stelle die Heiligen Aureus
und Justinus begraben lagen. Diese Heiligen waren zu des König Etzel
Zeiten zu Mainz gefangen worden, durch göttliche Hilfe aber entkommen
und hatten ihren Weg nach dem Eichsfeld zu genommen. Ein Präfekt
des Attila folgte ihnen nach, fing sie zu Rusteberg und tat ihnen alle
erdenklichen Martern an, um sie zum Rückfall in das Heidentum zu
bewegen. Das war aber vergebens. Stachelschuhe verletzten die standhaften
Christen nicht, glühend gemachte und ihnen aufgesetzte Helme fielen
kalt zu Boden. Wilde Tiere schonten die mit Ketten an Bäume Gefesselten,
denn es brannten Kerzen vor ihnen und stiegen Engel vom Himmel, die mit
ihnen beteten. Endlich ließ der Präfekt die frommen Märtyrer
enthaupten und ihre Leiber im Walde verscharren. König Dagobert ließ
nun an der Stätte seiner Heilung ein Münster erbauen und ordnete
einen Propst und zwölf Chorherren hinein, nannte den Ort Heiligenstadt
und ordnete das Münster dem Bischofsitz Mainz unter, unter welchem
auch die nach und nach entstehende Stadt dieses Namens beständig
blieb. Noch heißt die Stätte, wo Dagobert gewohnt hat, die
alte Burg.
Quelle: Ludwig Bechstein, Deutsches Sagenbuch,
Leipzig 1853