Der Krieg auf Wartburg
Bei Landgraf Hermann und seiner Gemahlin Sophia waren auf Schloß
Wartburg im Jahre 1206 eine Zahl meisterlicher Minnesinger, die hießen
Walther von der Vogelweide, Reinhart von Zwetzen, auch Reimar Zweier genannt,
Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Ofterdingen, Meister Biterolf und
Heinrich von Rispach, der tugendhafte Schreiber genannt, der war des Landgrafen
Kanzellar und auch ein Ritter. Diese Sechse hielten ein Wettsingen miteinander,
darin sie das Lob guter Fürsten priesen und vornehmlich das des gastlichen
Landgrafen Hermann von Thüringen, der Grafen Poppo und Hermann des
Weisen von Henneberg, auch des Markgrafen Otto von Brandenburg, zubenamt
mit dem Pfeile, der selbst ein Minnesinger war. Besonders waren es die
Henneberger, von denen Wolfram von Eschenbach und Heinrich von Rispach
den Ritterschlag und Rosse und Gewande empfangen hatten, welche der genannte
Heinrich, Biterolf und Wolfram von Eschenbach priesen, ebenso pries Heinrich
von Rispach den Thüringer Landesherrn, aber Heinrich von Ofterdingen,
ein Österreicher, obschon ihn alte Bücher einen Bürger
von Eisenach nennen, und, wie viele glauben, der Dichter des hochwerten
Nibelungenliedes, pries Leopold, Herzog von Österreich und sang,
daß dieser vor allen Fürsten strahle gleich der Sonne vor allen
Gestirnen. Da wurde der Sängerkampf also ernst und heftig, daß
die Sänger beschlossen, es solle der Unterliegende durch die Hand
des Henkers sterben. Alle waren gegen Heinrich von Ofterdingen erbittert
und hätten ihn gern vom Thüringer Hofe weggehabt. Da nun alle
gegen ihn, den einen, sangen, so unterlag er, und nur die gütige
Landgräfin, zu der der Verfolgte sich flüchtete, schirmte ihn,
indem sie ihren Mantel über ihn breitete, als er Rettung flehend
zu ihren Füßen sank. Heinrich von Ofterdingen erbat sich ein
Jahr Frist, er wolle von dannen reisen und einen größern Meister
holen, der solle urteiln und richten. Damit meinte er den berühmten
Meister Klinsor vom Ungarland, der ein Minnesinger und ein Zauberer zugleich
war. Ofterdingen zog nun von Wartburg fort, gen Österreich zu seinem
gefeierten Herzog und von diesem nach Siebenbürgen zu Klinsor, der
ihm seine Begleitung nach Thüringen zusagte, ihn bei sich behielt
und sich und ihm mit Dichten, Singen und allerlei Kurzweil die Zeit vertrieb,
so daß unvermerkt das Jahr verstrich und Ofterdingen endlich bange
ward, er werde zur bestimmten Frist Wartburg nicht wieder erreichen. Da
er nun gegen Klinsor ängstlich klagte, beruhigte ihn der und sagte:
Wir haben starke Pferde und einen leichten Wagen, wir kommen wohl noch
zeitig hin, und gab ihm einen Schlummertrunk, als es Abend geworden, legte
ihn auf eine lederne Decke und sich dazu und ließ sich und ihn von
den Geistern, denen er gebot, sänftiglich in der Nacht gen Eisenach
in das beste Wirtshaus tragen, das war dazumal nicht der halbe Mond oder
Rautenkranz, sondern der Hellegrafenhof am Sankt-Georgen-Tor linker Hand,
wenn man zur Stadt ausging. Wie der Türmer den Tag anblies, erwachte
Ofterdingen und hörte den Klang der Glocke, die zur Frühmesse
läutete, von Sankt Georgen, und rief: Wie ist mir doch? Dieselbe
Glocke hört' ich schon, ich meint', ich war' zu Eisenach, ist das
nicht Sankt-Jürgen-Tor? - Klinsor lächelte und sprach: Siehe
zu, ob du nicht träumest. - Da nun die Kunde hinauf auf Wartburg
kam, daß die zwei Meistersänger gekommen seien, gingen die
Sänger alle herab, sie zu begrüßen und hinaufzugeleiten,
und wurden gar herrlich von dem Fürstenpaare und seinem Hofstaate
empfangen.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853