Mönch und Nonne
Angesichts der Wartburg und ganz nahe der Trümmerstätte der
zerstörten Dynastenburg Mittelstein, jetzt Mädelstein geheißen,
stehen zwei Steinfelsen, die sind so zueinander geneigt, daß sie
sich zu Häupten fast berühren, und heißen Mönch und
Nonne. Da es in Eisenach noch Klöster gab, waren drunten in einem
ein Mönch, im andern eine Nonne, die liebten einander und verabredeten
auf dieser Höhe ein Stelldichein, auf einer Stelle, wo man von der
Stadt aus nicht gesehen werden konnte. Sie herzten sich und küßten
sich und verwünschten den Klosterzwang, der sie für ewig trennte,
und wünschten, wie Liebende tun, sich ewig nahe sein, sich ewig küssen
zu können. Und da sie dies so beweglich wünschten, so ward der
Wunsch erfüllt, sie wurden zu hohen Steinfelsen, die von weitem gesehen
immer noch menschliche Gestalt zu haben und einander zu küssen scheinen.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853