Sophias Handschuh
Als Landgraf Ludwig auf der Fahrt zum Heiligen Lande gestorben, die heilige
Elisabeth mit ihren Kindern durch ihren Schwager Heinrich Raspe schmachvoll
von der Wartburg vertrieben war, dem dafür auch kein Segen blühte,
denn er blieb von drei Gemahlinnen erbenlos, und als auch er dahin war,
da erhob sich um das Thüringer- und Hessenland ein großes Streiten.
Die älteste Tochter der heiligen Elisabeth, Sophia, hatte sich einem
Herzog von Brabant vermählt, hatte von diesem einen Sohn, war aber
schon Witwe; die machte gerechten Anspruch für ihren jungen Sohn
an ihr Muttererbe. Aber eine Schwester des heiligen Ludwig und Heinrich
Raspes, Jutta, hatte zum Gemahl Heinrich den Erlauchten, Markgrafen von
Meißen, der hatte bereits für sich und seine Erben Besitz vom
Thüringerlande genommen. Sophia zog in das Hessenland und gewann
sich mächtigen Anhang; zudem war die kaiserlose Zeit, in der es gar
wild durcheinander ging, zumal in Thüringen. Da wurde zu Eisenach
ein Tag der Vergleichung anberaumt, auf dem erschienen Heinrich und Sophia
in Person und waren beiderseits zur Einigung dahin geneigt, daß
der künftige Kaiser den Streit entscheiden solle, ob der Sohn der
Tochter oder der Sohn der Schwester des Thüringer Landgrafen mehr
Anrecht an das Erbe habe: da sprachen der Marschall Helwig von Schlotheim
und einige andere thüringische Edle zu Markgraf Heinrich dem Erlauchten:
Herr, verheißet nicht zuviel! Stündet Ihr mit einem Fuße
im Himmel und mit dem andern auf der Wartburg, so müßtet Ihr
den aus dem Himmel ziehen und auch zu dem auf der Wartburg setzen. Da
zog sich Heinrich zurück, die Sache zu bedenken, und hinterdrein
beschwur er auf eine Rippe der heiligen Elisabeth nebst zwanzig Eideshelfern
sein Recht auf Thüringen. Da weinte die Herzogin von Brabant Tränen
des Zorns, zog ihren Handschuh aus und schleuderte ihn hoch in die Luft
empor und schrie: Nimm hin, du Feind aller Gerechtigkeit, dich, Teufel,
meine ich, nimm diesen Handschuh, und die falschen Ratgeber alle dazu!
Und der Handschuh fiel nicht wieder aus der Luft herunter, und von jenen
Räten und Eideshelfern soll keiner eines guten Todes gestorben sein,
darum, daß sie das heilige Gebein entweiht und einen solchen Eid
geschworen hatten. Und nun entbrannte ein heilloser Krieg, der ganz Thüringen
verdarb. Einmal wollte die Herzogin von Brabant wieder nach Eisenach hinein,
das Tor ward ihr aber nicht aufgetan, da nahm sie eine Spaltaxt und hieb
in das Georgentor ein paar solche Kimmen in das Eichenholz, daß
man sie noch nach zweihundert Jahren sah. In diesem Krieg zerstörte
Markgraf Heinrich den Mittelstein, die alte schöne Burg der Frankensteiner,
und auch andere Burgen um die Wartburg her und ließ einen treuen
rechtskundigen Rat, genannt Heinrich Velsbach, der ihm hartnäckig
entgegen war und den er in seine Gewalt bekam, mittelst eines großen
Wurfgeschosses durch die Luft hinab nach Eisenach schleudern. Als dieser
Mann von der Blide aufflog, schrie er noch vernehmlich, daß es alle
hörten: Thüringen gehört doch dem Kinde von Brabant! Neun
Jahre lang dauerte der Krieg, und endlich erfolgte dennoch, wozu man ohne
Krieg sich hätte einigen können, die Teilung des Landes in Thüringen
und Hessen, welches letztere Hermann, der Sohn Sophias, das Kind von Brabant,
zugeteilt bekam, und wurde also der erste Landgraf von Hessen und aller
Hessenfürsten erster Ahnherr. Heinrich der Erlauchte aber hatte mehrere
Söhne, da behielt er für sich und seinen Jüngern Sohn Dietrich
die Markgrafschaft Meißen und gab seinem ältesten Sohn Albrecht
die Landgrafschaft Thüringen.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853