Friedrich des Gebissenen Taufritt
Es ist gar nicht zu sagen, was für Kampf und Streit und Unglück
sich im Thüringerland und um dasselbe erhob durch den Treuebruch
Landgraf Albrecht des Entarteten, denn die Söhne Margarethens stritten,
als sie zu ihren Jahren gekommen, gegen ihren Vater, und der Vater stritt
gegen die Söhne. Landgraf Albrecht hatte seine Kebse gefreit und
wollte gar das Land seinen rechten Söhnen abdringen und dem Apitz,
seinem Bastard, zuwenden. Einmal hatte er sogar seinen ältesten Sohn
als Gefangenen lange im Turm der Wartburg liegen, der ward aber heimlich
befreit. Endlich verkaufte Albrecht ganz Thüringen für Zwölftausend
Mark Silber an Kaiser Adolf von Nassau, dem widersetzten sich die jungen
Markgrafen samt der ganzen Ritterschaft, darüber erwuchsen neue schwere
Kämpfe, und des Kaisers Volk hausete gar schlimm und übel in
Thüringen, davon noch ein altes Lied geht, wie eine ganze Schar dieses
Heeres, das in Rastenberg ein Kloster zerstört und die Nonnen geschändet,
dafür von den Thüringern und Hessen kapaunt worden. Indessen
starb Albrechts Kebse, Kunne von Eisenberg, und ihr Apitz folgte ihr noch
im selben Jahre nach, da freite baldmöglichst seinen Söhnen
zum Trotz Albrecht die reiche Witwe eines Grafen von Arnshauk, Adelheid,
die nur eine einzige Tochter hatte, so Elisabeth hieß, diese blieb
auf ihrer väterlichen Burg zurück, war vierzehn Jahre alt und
ein gar tugendsames und holdseliges Jungfräulein. Die sähe Friedrich
mit dem Wangenbiß und entbrannte in Minne gegen sie, und nach einer
Zeit entführte er sie unversehens, brachte sie auf sein Schloß
Gotha, den festen Grimmenstein, und schrieb an seine Stiefmutter und warb
um Elisabeth, die ihm, da sie schon in seinen Händen war, nicht füglich
versagt werden konnte, ward also seiner beiden Eltern Schwiegersohn. Das
hinderte aber keineswegs, daß Streit und Krieg sich fortspannen,
in welchem die Zwingburg Klemme, ein Bau Heinrichs des Erlauchten zu Eisenach,
abgebrochen wurde und zwei schöne Türme der Frauenkirche ihrer
Glocken beraubt und auch niedergerissen wurden. Bald darauf erhielt Landgraf
Friedrich heimliche Sendung von der Wartburg, nahm nur fünfzehn tapfere
Mannen mit sich, bargen sich in der Nähe der Wartburg in einer seitab
des Tales gelegenen waldigen von Felsen umgebenen Schlucht, die heute
noch das Landgrafenloch heißt, klimmten dann empor, kamen zur Burg
an der hintern Seite, wo jetzt der Turm steht, und da waren schon Mannen,
die ihnen die Mauern ersteigen halfen. Da fing Friedrich seinen Vater
ohne Schwertschlag und entsandte ihn nach Erfurt. Die Landgräfin
blieb aber bei ihrem Sohne auf der Wartburg, dahin dieser seine junge
Gemahlin Elisabeth eilend kommen ließ. Aber mit der Wartburg hatte
Friedrich noch nicht das Land, denn das gehörte doch noch dem Vater
oder aber dem Kaiser, der es gekauft, und selbst die Bürger von Eisenach
wollten nichts von dem jungen Landgrafen wissen, und da wurde die Wartburg
enger umlagert und bedrängt als je, und rings um dieselbe wurden
kleine Bergfrieden aufgeführt, Schanzen und Blockhäuser, und
aller Zugang und alle Zufuhr ihr abgeschnitten, was das Schlimmste war,
denn mit Stürmen war der Burg nichts anzuhaben, auch nicht viel mit
Steinschleudern, da sie himmelhoch über alle den Lagern der Feinde
sich erhob. In diesen Zeiten gebar Frau Elisabeth die Jüngere auf
Wartburg ein Töchterlein, und da kein Pfaffe auf der Burg war, war
guter Rat teuer, das Kind zu taufen, denn damals war nicht Sitte, vier
oder sechs Wochen oder noch länger damit in Gottes Namen zu warten,
auch beschäftigten sich nicht, wie in unsern Zeiten, Personen, die
keinerlei priesterliche Weihen empfangen, mit dem Vollzug der heiligen
Taufhandlung. Der Landgraf aber, schnellen Entschlusses und freudig zu
jeder raschen Tat, hieß die Amme samt dem Kinde zu Roß steigen,
erkor zwölf tapfre Kampfgesellen, ritt mit ihnen den Berg herab,
um die Stadt herum, über den Gaulanger und Sengelbach, und erst da
vernahmen die Wächter ihren Ritt und bliesen Lärm. Rasch ritten
Friedrich und die Seinen nun den Talweg entlang, nach Tenneberg zu, doch
hörten sie nach einer Weile, daß sie verfolgt wurden. Auf einmal
ließ die Amme ihr Zelterlein ruhiger traben und die Ritter an sich
vorbeireiten: das Kind schrie, der Landgraf blieb neben ihr halten und
fragte: Was ist's? Warum eilst du nicht? Was fehlt dem Kinde? Schweige
es! - Herr, sprach die Amme, es will gestillet sein, es schweiget nicht,
es sauge denn! - Da rief der Landgraf den Seinen zu: Haltet! Meine Tochter
soll ob dieser Jagd nichts entbehren, und sollte es das Thüringerland
kosten! - Und da scharten sich alle um die Amme her, in Willens, wenn
die Feinde herankämen, das Kind und sie auf Leben und Tod zu verteidigen
- aber die Feinde ließen ab von ihrer Verfolgung, obwohl Friedrich
schier zwei Meilen weit immer hinter sich den Hufschlag ihrer Pferde vernommen
hatte, und so kamen die Reiter mit Kind und Amme glücklich nach Schloß
Tenneberg, wohin der Abt von Reinhardsbrunn, das nahe dabei gelegen, entboten
wurde, der mußte die Tochter taufen und nach der Mutter Elisabeth
nennen. Danach hat Friedrich sich Hilfe gewonnen, die Wartburg stattlich
gespeist, die Belagerung tapfer abgewehrt und alle Grafen und Herren Thüringens
auf seine Seite gebracht. Darob ergrimmte Kaiser Albrecht gar sehr und
wollte das Thüringerland wiederum mit Heeresmacht überziehen
und bezwingen, wie er zu gleicher Zeit die Schweiz bezwingen wollte. Da
geschah es, daß all seinem Wollen ein Ziel gesetzt ward durch seines
Neffen, Herzog Johanns von Schwaben, meuchelmörderische Hand, und
gewann das Land hernach durch selben Landgrafen Friedrichen mit dem Wangenbiß,
den man auch den Freudigen nennt, guten Frieden.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853