Vom Inselberg
Einer der höchsten Berge des Thüringer Waldes ist der Inselberg.
Vor alters schrieben manche seinen Namen Heunselberg und wollten ihn von
den Heunen, Hünen, ableiten, andere Emsenberg, weil ein Flüßchen,
die Emse, nahe seinem Gipfel entspringe; näher kamen die, so ihn
Einzelberg nannten, weil sein hohes Haupt über alle seine Nachbarberge
vereinzelt emporragt, ja häufig erscheint es wie eine Insel über
dem Nebelmeere, das rings um seinen Gipfel flutet, wie sein Haupt sich
zuerst über der Flut erhoben, die einst ganz Thüringen bedeckte.
Über ihn dahin zieht die alte Hochstraße, der Rennsteig, Rennsteg,
Rennweg, Rinneweg, der über das ganze Thüringer Waldgebirge
viele Meilen weit sich erstreckt. Es geht die Sage, daß jeder Landgraf
von Thüringen diesen Weg mit seiner Ritterschaft reiten mußte,
sobald er die Regierung Thüringens angetreten hatte. Nahe dem Inselberg
haben in alten Zeiten Bergleute vom Harz den Bergbau begonnen und Orte
angebaut, deren Namen eigentümlich fremdländisch klingt: Tabarz,
Cabarz, und mögen wohl Einwanderer von weither auch andere Bergorte
im Schoß des Waldgebirges begründet haben, die in Sprachlauten
und Trachten sich von den eigentlichen Thüringern merklich unterscheiden.
Viele Venetianer sind nachderhand in das Gebirge gekommen, welche die
Leute Erzmännerchen und Walen nannten, die haben manch reichen Schatz
hinweggetragen, denn im Inselberggraben, im Bärenbruch, im Ungeheuern
Grund, an der Schönleite und weiter hin nach der Ruhl zu, in der
Ruhl, dem Flüßchen, und sonst, auch im Backsteinsloch, gab
es Goldsand, obschon minder viel als in Kalifornien, doch hat er manchen
reich gemacht. Seit die Walen dagewesen sind, findet man nichts mehr.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853