Von Frau Venus und dem wilden Heer
Zu denselben Zeiten war es offenbar und landkundig, daß im Hörseelenberg
auch ein heidnisch Frauenbild verwünscht worden, die erschien den
Leuten voller Huld und lockte sie in den Berg mit buhlerischem Liebeszauber,
darum ward sie Hulda geheißen, und war solch Götterweib kein
anderes als Frau Venus, die Göttin aller Liebe, in den Berg gebannt
zu scheinbarer Freude und doch zu ewiger Pein, denn sie, die Schönste,
warmer weicher Luft gewohnt, mußte als Schreckgespenst und Schauerholle
in den kältesten Winternächten mit all ihrer Buhl- und Genossenschaft
in greulicher Larvengestalt über Berge und Wälder hinjagen,
mit Hailoh und Hussa und dem ganzen Lärm und Geschrei und Gejohle
des wütenden Heeres. Da sähe man Geköpfte, die ihre Köpfe
unterm Arm trugen, daherfahren, andere wälzten sich, auf Räder
geflochten, um, wie Ixion in der heidnischen Mythe, manche hatten das
Angesicht im Nacken, andere hatten es auf der Brust, manche hatten Schlangenschwänze
und Eidechskrallen; manche tanzten und hüpften auf einem Bein daher,
andere schlugen Räder wie die Betteljungen, und allerlei Wild und
Hatzhunde jagten mit. Vor dem Heere her schritt ein Greis am weißen
Stabe, der hieß die Leute aus dem Wege gehen, daß sie nicht
Schaden litten, den nannte man den treuen Eckart, und brachte das Sprichwort
von ihm auf: Du bist der treue Eckart, du warnest jedermann. Manche nennen
auch die Frau Hulda oder Frau Venus Herodias, des Herodes Tochter, die
Johannis des Täufers Haupt forderte und zu ewiger Wanderung verflucht
ward gleich dem laufenden Juden. Wann es schneit, sagen die Kinder in
Thüringen: Frau Holle schüttelt ihr Federbett aus; verlarvte
Gespenster heißen nach ihr Hullenpöpel. Gleich der wilden Jägerin
Bertha oder Berchta belohnt sie fleißige Mägde und bestraft
die Faulen, zerzaust und verwirrt auch letzteren den Rocken. Vom treuen
Eckart ging der Glaube, daß, wenn das wilde oder wütende Heer
nicht ziehe, so sitze er außen an der Höhle und warne jedermann,
hineinzugehen, als ein Engel in Menschengestalt von Gott an diesen Ort
geordnet.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853