Der Wangenbiß
Albrecht, Heinrich des Erlauchten Sohn, nahm zur Gemahlin Margarethen,
Kaiser Friedrichs II. Tochter. Da hallte nach langem lauten Lärm
des Krieges die Wartburg von Freudenfesten wider. Es hatte aber die junge
Landgräfin, die ihrem Gemahl mehrere Söhne schenkte, ihr Unglück
selbst mit in das Haus gebracht in einem schönen Hoffräulein,
das gefiel dem Mark- und Landgrafen nur allzuwohl und immer mehr, bis
beide auf tückischen Verrat sannen, Margarethen aus dem Wege zu räumen.
Der Knecht, welcher mit dem Wartburgesel täglich aus der Stadt mancherlei
Bedarf heraufholte, ward heimlich gedungen, als ein Teufelsgespenst zur
Nacht in das Gemach der Landgräfin zu treten und ihr das Genick zu
brechen. Auch mußte er schwören, niemanden den Anschlag zu
verraten. Aber diesem Knecht schlug das Gewissen, und traute sich nicht
der Ungeheuern ruchlosen Tat, eine unschuldige wehrlose Frau, die er nie
anders als gütig gesehen und die selbst ihn, den geringsten der Knechte
auf dem Hofe, freundlich gegrüßt hatte, im Schlafe hinzumorden,
zögerte daher und bedachte sich lange. Das merkte der Landgraf und
fragte ihn eines Abends verblümt, aber streng: Hast du die Ernte
geworben, die ich dir befohlen habe? - Des erschrak der Knecht und antwortete:
Herr, ich will sie werben! - und dachte bei sich: Nun muß es geschehen
- wie Gott will! - Und da es tiefe Nacht war, trat er in das Schlafgemach
der Landgräfin, die ganz allein schlief, kniete an ihr Bette hin
und rief: Gnädige Frau! Gnadet mir des Leibes! - Erschrocken fuhr
Margaretha vom Schlummer auf und fragte: Wer ist da? Wer bist du? - Und
da sagte der Knecht ihr alles an, daß sie auf das heftigste erschrak,
doch sprach sie gefaßt: Rufe mir eilend den Haushofmeister, den
Schenken Rudolf von Vargula! - Solches tat der Knecht, und Margaretha
sprang vom Lager und kleidete sich eilend an. Und da der Schenk kam, fragte
sie ihn heftig weinend um Rat. Den gab er ihr in Kürze. Sie solle
an Gut und Geld einpacken, was tragbar sei. Dann wurden in aller Stille
ihre Haushofmeisterin und eine ihrer Jungfrauen geweckt, die mußten
eilend Bettgewand und Leinlaken in lange Streifen schneiden und aneinanderbinden,
und Margarethe ging in Begleitung des Schenken auf das gemalte Haus bei
dem Turme, wo ihre Söhne Friedrich und Diezmann schliefen, und fiel
auf ihr Bette und küßte sie unter heißen Tränen
und biß vor Liebe und grausamem Schmerz den ältesten, Friedrich,
in die Wange, daß sie blutete, und fiel auf den zweiten und wollte
ihm auch also tun, doch der Schenk wehrte es ihr, und sie sprach unter
strömenden Tränen: Ich will sie zeichnen, daß sie an dieses
Scheiden gedenken, solange sie leben. - Nahm also den herzlichsten und
schmerzlichsten Abschied von ihren Söhnen, davon Friedrich drei Jahre
und Diezmann anderthalb Jahre alt war, und ward dann samt dem Knecht und
den beiden Frauen von dem Gange am heutigen Ritterhause, das ist in der
Vorderburg, wo des Kommandanten Wohnung ist, aus einem Fenster in dunkler
Nacht die hohe steile Mauer hinabgelassen, und mußten den schroffen
Felsenberg hinabklimmen und entwandern. Da gingen sie durch die Nacht
und den grauenden Morgen südwestwärts durch die weiten Wälder,
bis auf die Burg Krainberg bei Salzungen, die gehörte auch den Herren
von Frankenstein, war aber jetzt halb dem Abte von Hersfeld, und dessen
Burgmann nahm sie gastlich auf und ließ sie dann gen Fulda geleiten
zu dem Abt; der empfing als der Kaiserin Erzkanzellar die Tochter seines
Kaisers mit allen Ehren und geleitete sie gen Frankfurt in ein Frauenkloster,
darin sie schon im nächsten Jahre vor Kummer und Herzeleid starb.
Quelle: Ludwig Bechstein,
Deutsches Sagenbuch, Leipzig 1853