Das Mäuselein
In Thüringen bei Saalfeld auf einem vornehmen
Edelsitz zu Wirbach hat sich anfangs des XVII. Jahrhunderts folgendes
begeben: Das Gesinde schälte Obst in der Stube, einer Magd kam der
Schlaf an, sie ging von den andern weg und legte sich abseits, doch nicht
weit davon, auf eine Bank nieder, um zu ruhen. Wie sie eine Weile stillgelegen,
kroch ihr zum offenen Maule heraus ein rotes Mäuselein. Die Leute
sahen es meistenteils und zeigten es sich untereinander. Das Mäuslein
lief eilig nach dem gerade geklefften Fenster, schlich hinaus und blieb
eine Zeitlang aus. Dadurch wurde eine vorwitzige Zofe neugierig gemacht,
sosehr es ihr die andern verboten, ging hin zu der entseelten Magd, rüttelte
und schüttelte an ihr, bewegte sie auch an eine andre Stelle etwas
fürder, ging dann wieder davon. Bald darnach kam das Mäuselein
wieder, lief nach der vorigen bekannten Stelle, da es aus der Magd Maul
gekrochen war, lief hin und her, und wie es nicht ankommen konnte noch
sich zurechtfinden, verschwand es. Die Magd aber war tot und blieb tot.
Jene Vorwitzige bereute es vergebens. Im übrigen war auf demselben
Hof ein Knecht vorhermals oft von der Trud gedrückt worden und konnte
keinen Frieden haben, dies hörte mit dem Tode der Magd auf.
Kommentar: Prätor.:
Weltbeschreibung, I, 40, 41. vgl. II, 161.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 247