Der Feuerberg
Einige Stunden von Halberstadt liegt ein ehemals
kahler, jetzt mit hohen Tannen und Eichen bewachsener Berg, der von vielen
der Feuerberg genannt wird. In seinen Tiefen soll der Teufel sein
Wesen treiben und alles in hellen Flammen brennen. Vor alten Zeiten wohnte
in der Gegend von Halberstadt ein Graf, der bös und raubgierig war
und die Bewohner des Landes ringsherum drückte, wo er nur konnte.
Einem Schäfer war er viel Geld seit langen Jahren schuldig, jedesmal
aber, wenn dieser kam und darum mahnte, gab er ihm schnöde und abweisende
Antworten. Auf einmal verschwand der Graf, und es hieß, er wäre
gestorben in fernen Landen. Der Schäfer ging betrübt zu Felde
und klagte über seinen Verlust, denn die Erben und Hinterlassenen
des Grafen wollten von seiner Forderung nichts wissen und jagten ihn,
als er sich meldete, die Burg hinab. Da geschah es, daß, als er
zu einer Zeit im Walde war, eine Gestalt zu ihm trat und sprach: »Willst
du deinen alten Schuldner sehen, so folge mir nach.« Der Schäfer
folgte und ward durch den Wald geführt bis zu einem hohen, nackten
Berg, der sich alsbald vor beiden mit Getöse öffnete, sie aufnahm
und sich wieder schloß. Innen war alles ein Feuer. Der zitternde
Schäfer erblickte den Grafen, sitzend auf einem Stuhle, um welchen
sich, wie an den glühenden Wänden und auf dem Boden, tausend
Flammen wälzten. Der Sünder schrie: »Willst du Geld haben,
Schäfer, so nimm dieses Tuch und bringe es den Meinigen; sage ihnen,
wie du mich im Höllenfeuer sitzen gesehen, in dem ich bis in Ewigkeit
leiden muß.« Hierauf riß er ein Tuch von seinem Haupt
und gab es dem Schäfer, und an seinen Augen und Händen sprühten
Funken. Der Schäfer eilte mit schwankenden Füßen, von
seinem Führer geleitet, zurück; der Berg tat sich wieder auf
und verschloß sich hinter ihm. Mit dem Tuch ging er dann auf des
Grafen Burg, zeigte es und erzählte, was er gesehen; worauf sie ihm
gern sein Geld gaben.
Kommentar: Mündlich aus
Wernigerode.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 282