Der Kessel mit dem Schatz
An einem Winterabend saß vor vielen Jahren
der Wagnermeister Wolf zu Großbieberau im Odenwald mit Kindern und
Gesinde beim Ofen und sprach von diesem oder jenem. Da ward auf einmal
ein verwunderlich Geräusch vernommen, und siehe, es drückte
sich unter dem Stubenofen plötzlich ein großer Kessel voll
Geldes hervor. Hätte nun gleich einer stillschweigends ein wenig
Brot oder einen Erdschollen darauf geworfen, dann wäre es gut gewesen;
aber nein, der Böse war dabei, und da mußt es wohl verkehrt
gehen. Des Wagners Töchterlein hatte nie soviel Geld beisammen gesehen
und rief laut: »Blitz, Vater, was Geld, was Geld!« Der Vater
kehrte sich nicht ans Schreien, weil er besser wußte, was hier zu
tun wäre. Schnell nahm ers Heft vom großen Nabenbohrer und
steckte es rasch durch den Kesselring. Doch es war vorbei, der Kessel
versank, und nur der Ring blieb zurück. Vor ungefähr zwanzig
Jahren wurde der Kesselring noch gezeigt.
Zu Quedlinburg steht ein Haus, in dessen Grundtiefen
sich große Goldschätze befinden sollen. Vor Jahren wohnte ein
Kupferschmied darin, dessen Frau den Lehrjungen verschiedenes Handwerksgerät
in Ordnung bringen hieß, besonders sollte er einen großen
Kessel im Hintergebäude rein machen. Als am Abend der Junge mit der
Arbeit zu Ende gekommen war und jetzt zum großen Kessel trat, fand
er diesen bis oben gefüllt mit glänzenden Goldstücken.
Vor Freude erschrocken, griff er einige Stücke heraus, eilte damit
zur Meisterin und erzählte ihr, was er gesehen. Sie lief mit hin,
aber noch waren beide nicht über die Schwelle der Türe zum Hintergebäude
gekommen, als sie ein plötzliches Krachen, Rauschen und Klingen hörten;
und drinnen sahen sie noch, wie sich der große Kessel in seiner
alten Fuge bewegte und dann stillstand. Als sie aber hinzutreten, war
er schon wieder leer und das Gold hinabgesunken.
Kommentar: Mündlich aus
Bibesheim und Wernigerode.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 212