Der Lügenstein
Auf dem Domplatz zu Halberstadt liegt ein runder
Fels von ziemlichem Umfang, den das Volk nennet den Lügenstein. Der
Vater der Lügen hatte, als der tiefe Grund zu der Domkirche gelegt
wurde, große Felsen hinzugetragen, weil er hoffte, hier ein Haus
für sein Reich entstehen zu sehen. Aber als das Gebäude aufstieg
und er merkte, daß es eine christliche Kirche werden würde,
da beschloß er, es wieder zu zerstören. Mit einem ungeheuren
Felsstein schwebte er herab, Gerüst und Mauer zu zerschmettern. Allein
man besänftigte ihn schnell durch das Versprechen, ein Weinhaus dicht
neben die Kirche zu bauen. Da wendete er den Stein, so daß er neben
dem Dom auf dem geebneten Platz niederfiel. Noch sieht man daran die Höhle,
die der glühende Daumen seiner Hand beim Tragen eindrückte.
Kommentar: Otmars
Volkssagen.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 200