Die Eselswiese
Osterdonnerstags, nach gesprochenem Segen, ritt
der heilige Bruno von seinem Bruder Gebhard weg, willens, nach Preußen
zur Bekehrung der Heiden zu ziehen. Als er nun auf den grünen Anger
hart vor Quernfurt kam, wurde ihm das Maultier oder der Esel stätig,
wollte weder vor noch hinter sich, alles Schlagens, Peitschens und Spornens
unerachtet. Daraus schlossen Gebhard und andere, die ihn geleitet hatten,
es wäre nicht Gottes Wille, daß er diesen Zug tue, und überredeten
ihn so lange, bis er wieder mit aufs Schloß Quernfurt zog. Die Nacht
aber überschlug der Heilige die Sache von neuem, geriet in große
Traurigkeit, und sein Herz hatte nicht Ruhe, bis er endlich den Zug doch
unternahm und in Preußen von den Heiden gefangen, gepeinigt und
getötet wurde (im Jahr 1008 oder 1009). - Auf der Stelle, wo damals
das Tier ständig wurde, baute man nach seinem Tode ein Heiligtum,
genannt die Kapell zu Eselstett auf den heutigen Tag; und man erteilte
da jeden Gründonnerstag sonderlichen Ablaß aus. Darum geschahen
große Wallfahrten des Volkes auf die Quernfurter Eselswiese, und
in spätern Zeiten wurde ein Jahrmarkt daraus, dem von Sonnenauf-
bis zum Sonnenniedergang eine lebendige Menge der umwohnenden Leute zuzuströmen
pflegen.
Kommentar: Spangenberg: Quernfurt. Chronik. S. 128, 131, 133.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm
(Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 572