Friedrich mit dem gebissenen Backen
Landgraf Albrecht in Thüringen, der Unartige,
vergaß aller ehlichen Lieb und Treue an seinem Gemahel und hing
sich an ein ander Weibsbild, Gunda von Eisenberg genannt. Der Landgräfin
hätte er gerne mit Gift vergeben, konnte aber nicht dazu kommen;
verhieß also einem Eseltreiber, der ihm auf der Wartburg täglich
das Küchenholz zuführte, Geld, daß er ihr nachts den Hals
brechen sollte, als ob es der Teufel getan hätte. Als nun die dazu
bestimmte Zeit kam, ward dem Eseltreiber bange und gedachte: Ob ich wohl
arm bin, hab ich doch fromme, ehrliche Eltern gehabt; soll ich nun ein
Schalk werden und meine Fürstin töten? Endlich mußte er
daran, wurde heimlich in der Landgräfin Kammer geleitet, da fiel
er vor dem Bette zu ihren Füßen und sagte: »Gnadet, liebe
Fraue!« Sie sprach: »Wer bist du?« Er nannte sich. »Was
hast du getan, bist du trunken oder wahnsinnig?« Der Eseltreiber
antwortete: »Schweiget und ratet mir! Denn mein Herr hat mir Euch
zu töten geheißen; was fangen wir jetzo an, daß wir beide
das Leben behalten?« Da sprach sie: »Gehe und heiß meinen
Hofmeister zu mir kommen.« Der Hofmeister gab ihr den Rat, sich
zur Stunde aufzumachen und von ihren Kindern zu scheiden. Da setzte sich
die Landgräfin an ihrer Söhnlein Bette und weinte; aber der
Hofmeister und ihre Frauen drangen in sie zu eilen. Da es nun nicht anders
sein konnte, gesegnete sie ihre Kinder, ergriff das älteste, namens
Friedrich, und küßte es oftermal; und aus sehnlichem, mütterlichen
Herzen biß sie ihm in einen Backen, daß er davon eine Narbe
bekam, die er zeitlebens behalten. Daher ihm auch erwachsen, daß
man ihn genennet Friedrich mit dem gebissenen Backen. Da wollte sie den
andern Sohn auch beißen; das wehrte ihr der Hofmeister und sprach:
»Wollt Ihr die Kinder umbringen?« Sie sprach: »Ich hab
ihn gebissen, wann er groß wird, daß er an meinen Jammer und
dieses Scheiden gedenkt.«
Also nahm sie ihre Kleinode und ging aufs Ritterhaus, wo sie der Hofmeister
mit einer Frauen, einer Magd und dem Eseltreiber an Seilen das Fenster
hinabließ. Noch dieselbe Nacht flüchtete sie auf den Kreinberg,
der dazumal dem Hersfelder Abt hörte; von da ließ sie der Amtmann
geleiten bis nach Fulda. Der Abt empfing sie ehrbarlich und ließ
sie sicher geleiten bis gen Frankfurt, wo sie in einem Jungfrauenkloster
Herberge nahm, aber schon im folgenden Jahre vor Jammer starb. Sie liegt
zu Frankfurt begraben.
Kommentar: Rohte,
I, 1743 - 1745. Bange, Bl. 103, 104.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm
(Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 560