Johann Hübner
Auf dem Geißenberge in Westfalen stehen
noch die Mauern von einer Burg, da vor alters Räuber gewohnt. Sie
gingen nachts ins Land umher, stahlen den Leuten das Vieh und trieben
es dort in den Hof, wo ein großer Stall war, und darnach verkauften
sie's weit weg an fremde Leute. Der letzte Räuber, der hier gewohnt
hat, hieß Johann Hübner. Er hatte eiserne Kleider an und war
stärker als alle anderen Männer im ganzen Land. Er hatte nur
ein Auge und einen großen krausen Bart und Haare. Am Tage saß
er mit seinen Knechten in einer Ecke, wo man noch das zerbrochene Fenster
sieht, da tranken sie zusammen. Johann Hübner sah mit dem einen Auge
sehr weit durchs ganze Land umher; wenn er dann einen Reiter sah, da rief
er: »Heloh! Da reitet ein Reiter! Ein schönes Roß! Heloh!«
Dann zogen sie hinaus, gaben acht, wann er kam, nahmen ihm daß Roß
und schlugen ihn tot. Nun war ein Fürst von Dillenburg, der schwarze
Christian genannt, ein sehr starker Mann, der hörte viel von den
Räubereien des Johann Hübner, denn die Bauern kamen immer und
klagten über ihn. Dieser schwarze Christian hatte einen klugen Knecht,
der hieß Hanns Flick, den schickte er über Land, dem Johann
Hübner aufzupassen. Der Fürst aber lag hinten im Giller und
hielt sich da mit seinen Reitern verborgen, dahin brachten ihm auch die
Bauern Brot und Butter und Käse. Hanns Flick aber kannte den Johann
Hübner nicht, streifte im Land umher und fragte ihn aus. Endlich
kam er an eine Schmiede, wo Pferde beschlagen wurden, da stunden viele
Wagenräder an der Wand, die auch beschlagen werden sollten. Auf dieselben
hatte sich ein Mann mit dem Rücken gelehnt, er hatte nur ein Auge
und ein eisernes Wams an. Hanns Flick ging zu ihm und sagte: »Gott
grüß dich, eiserner Wamsmann mit einem Auge! Heißest
du nicht Johann Hübner vom Geißenberg?« Der Mann antwortete:
»Johann Hübner vom Geißenberg liegt auf dem Rad.«
Hanns Flick verstunde das Rad auf dem Richtplatz und sagte: »War
das kürzlich?« - »Ja«, sprach der Mann, »erst
heut.« Hanns Flick glaubte doch nicht recht und blieb bei der Schmiede
und gab auf den Mann acht, der auf dem Rade lag. Der Mann sagte dem Schmied
ins Ohr, er solle ihm sein Pferd verkehrt beschlagen, so daß das
vorderste Ende des Hufeisens hinten käme. Der Schmied tat es, und
Johann Hübner ritt weg. Wie er aufsaß, sagte er dem Hanns Flick:
»Gott grüß dich, braver Kerl, sage deinem Herren, er
solle mir Fäuste schicken, aber keine Leute, die hinter den Ohren
lausen.« Hanns Flick blieb stehen und sah, wo er übers Feld
in den Wald ritt, lief ihm nach, um zu sehen, wo er bliebe. Er wollte
seiner Spur nachgehen, aber Johann Hübner ritt hin und her, die Kreuz
und Quer, und Hanns Flick wurde bald in den Fußtapfen des Pferdes
irre, denn wo jener hingeritten war, da gingen die Fußtapfen zurück.
Also verlor er ihn bald und wußte nicht, wo er geblieben war. Endlich
aber ertappte er ihn doch, wie er nachts bei Mondenschein mit seinen Knechten
auf der Heide im Wald lag und geraubt Vieh hütete. Da eilte er und
sagte es dem Fürsten Christian, der ritt in der Stille mit seinen
Kerlen unten durch den Wald, und sie hatten den Pferden Moos unter die
Füße gebunden. So kamen sie nah herbei, sprangen auf ihn zu
und kämpften miteinander. Der schwarze Christian und Johann Hübner
schlugen sich auf die eisernen Hüte und Wämser, daß es
klang, endlich aber blieb Johann Hübner tot, und der Fürst zog
in das Schloß auf dem Geißenberg. Den Johann Hübner begruben
sie in einer Ecke, der Fürst legte viel Holz um den großen
Turm, und sie untergruben ihn auch. Am Abend, als im Dorfe die Kühe
gemolken wurden, fiel der Turm um, und das ganze Land zitterte von dem
Fall. Man sieht noch die Steine den Berg hinunter liegen. Der Johann Hübner
erscheint oft um Mitternacht, mit seinem einen Auge sitzt er auf einem
schwarzen Pferd und reitet um den Wall herum.
Kommentar: Stillings
Leben, I, 51 - 54.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 128