Johann von Passau
Doktor Martinus Luther erzählt: Ein Edelmann
hatte ein schön jung Weib gehabt, die war ihm gestorben und auch
begraben worden. Nicht lange darnach, da liegt der Herr und der Knecht
in einer Kammer beieinander, da kommt des Nachts die verstorbene Frau
und lehnet sich über des Herren Bette, gleich als redete sie mit
ihm. Da nun der Knecht sah, daß solches zweimal nacheinander geschah,
fraget er den Junkherrn, was es doch sei, daß alle Nacht ein Weibsbild
in weißen Kleidern vor sein Bett komme, da saget er nein, er schlafe
die ganze Nacht aus und sehe nichts. Als es nun wieder Nacht ward, gibt
der Junker auch acht drauf und wachet im Bette, da kommt die Frau wieder
vor das Bett, der Junker fraget: wer sie sei und was sie wolle? Sie antwortet:
sie sei seine Hausfrau. Er spricht: »Bist du doch gestorben und
begraben!« Da antwortet sie: »Ja, ich habe deines Fluchens
halben und um deiner Sünde willen sterben müssen, willst du
mich aber wieder zu dir haben, so will ich wieder deine Hausfrau werden.«
Er spricht: »Ja, wenn's nur sein könnte.« Aber sie bedingt
aus und ermahnt ihn, er müsse nicht fluchen, wie er denn einen sonderlichen
Fluch an ihm gehabt hatte, denn sonst würde sie bald wieder sterben;
dieses sagt ihr der Mann zu, da blieb die verstorbene Frau bei ihm, regierte
im Haus, schlief bei ihm, aß und trank mit ihm und zeugete Kinder.
Nun begibt sich's, daß einmal der Edelmann Gäste kriegt und
nach gehaltener Mahlzeit auf den Abend das Weib Pfefferkuchen zum Obst
aus einem Kasten holen soll und bleibet lange außen. Da wird der
Mann scheltig und fluchet den gewöhnlichen Fluch, da verschwindet
die Frau von Stund an und war mit ihr aus. Da sie nun nicht wiederkommt,
gehen sie hinauf in die Kammer, zu sehen, wo die Frau bliebe. Da liegt
ihr Rock, den sie angehabt, halb mit den Ärmeln in dem Kasten, das
andere Teil aber heraußen, wie sich das Weib hatte in den Kasten
gebücket, und war das Weib verschwunden und seit der Zeit nicht gesehen
worden.
Kommentar: Luthers
Tischreden, 105. Prätor.: Weltbeschreibung, I, 357, 358.
Wendunmuth, V, 312, Nr. 256.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm
Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 94