Jungfer Eli
Vor hundert und mehr Jahren lebte in dem münsterischen Stift Frekenhorst
eine Äbtissin, eine sehr fromme Frau; bei dieser diente eine Haushälterin,
Jungfer Eli genannt, die war bös und geizig, und wenn arme Leute
kamen, ein Almosen zu bitten, trieb sie sie mit einer Peitsche fort und
band die kleine Glocke vor der Tür fest, daß die Armen nicht
läuten konnten. Endlich ward Jungfer Eli todkrank, man rief den Pfarrer,
sie zum Tode vorzubereiten, und als der durch der Äbtissin Baumgarten
ging, sah er Jungfer Eli in ihrem grünen Hütchen mit weißen
Federn auf dem Apfelbaum sitzen; wie er aber ins Haus kam, lag sie auch
wieder in ihrem Bette und war böse und gottlos wie immer, wollte
nichts von Besserung hören, sondern drehte sich um nach der Wand,
wenn ihr der Pfarrer zureden wollte, und so verschied sie. Sobald sie
die Augen schloß, zersprang die Glocke, und bald darauf fing sie
an, in der Abtei zu spuken. Als eines Tags die Mägde in der Küche
saßen und Fitzebohnen schnitten, fuhr sie mit Gebraus zwischen ihnen
her, gerade wie sie sonst leibte und lebte, und rief: »Schniet ju
nich in de Finger, schniet ju nich in de Finger!« Und gingen die
Mägde zur Milch, so saß Jungfer Eli auf dem Stege und wollte
sie nicht vorbeilassen, wenn sie aber riefen: »In Gottes Namen,
gah wieder her«, mußte sie weichen, und dann lief sie hinterher,
zeigte ihnen eine schöne Torte und sprach: »Tart! Tart!«
Wollten sie die nun nicht nehmen, so warf sie die Torte mit höllischem
Gelächter auf die Erde, und da war's ein Kuhfladen. Auch die Knechte
sahen sie, wenn sie Holz haueten; da flog sie immer von einem Baumzweig
im Wald zum andern. Nachts polterte sie im Hause herum, warf Töpfe
und Schüsseln durcheinander und störte die Leute aus dem Schlaf.
Endlich erschien sie auch der Äbtissin selbst auf dem Wege nach Warendorf,
hielt die Pferde an und wollte in den Wagen hinein, die Äbtissin
aber sprach: »Ich hab nichts zu schaffen mit dir; hast du übel
getan, so ist's nicht mein Wille gewesen.« Jungfer Eli wollte sich
aber nicht abweisen lassen. Da warf die Äbtissin einen Handschuh
aus dem Wagen und befahl ihr, den wieder aufzuheben, und während
sie sich bückte, trieb die Äbtissin den Fuhrmann an und sprach:
»Fahr zu, so schnell du kannst, und wenn auch die Pferde drüber
zugrunde gehen!« So jagte der Fuhrmann, und sie kamen glücklich
nach Warendorf. Die Äbtissin endlich, des vielen Lärmens überdrüssig,
berief alle Geistlichen der ganzen Gegend, die sollten Jungfer Eli verbannen.
Die Geistlichen versammelten sich auf dem Herrenchor und fingen an, das
Gespenst zu zitieren, allein sie wollte nicht erscheinen, und eine Stimme
rief: »He kickt, he kickt!« Da sprach die Geistlichkeit: »Hier
muß jemand in der Kirche verborgen sein, der zulauscht«, suchten
und fanden einen kleinen Knaben, der sich aus Neugierde drin versteckt
hatte. Sobald der Knabe hinausgejagt war, erschien Jungfer Eli und ward
in die Davert verbannt. Die Davert ist aber ein Wald im Münsterschen,
wo Geister umgehen und wohin alle Gespenster verwiesen werden. Alle Jahr
einmal fährt nun noch, wie die Sage geht, Jungfer Eli über die
Abtei zu Frekenhorst mit schrecklichem Gebraus und schlägt einige
Fensterscheiben ein oder dergleichen, und alle vier Hochzeiten kommt sie
einen Hahnenschritt näher.
Kommentar: Mündlich aus dem Münsterland.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 121