Ludwig der Springer
Die Brüder und Freunde Markgraf Friedrichs
klagten Landgraf Ludwigen zu Thüringen und Hessen vor dem Kaiser
an, von wegen der frevelen Tat, die er um des schönen Weibes willen
begangen hatte. Sie brachten auch so viel beim Kaiser aus, daß sie
den Landgrafen, wo sie ihn bekommen könnten, fahen sollten. Also
ward er im Stift Magdeburg getroffen und auf den Giebichenstein bei Halle
an der Saal geführet, wo sie ihn über zwei Jahre gefangenhielten
in einer Kemnaten (Steinstube) ohne Fessel. Wie er nun vernahm, daß
er mit dem Leben nicht davonkommen möchte, rief er Gott an und verhieß
und gelobte, eine Kirche zu bauen in St. Ulrichs Ehr in seine neulich
erkaufte Stadt Sangerhausen, so ihm aus der Not geholfen würde. Weil
er aber vor schwerem Kummer nicht aß und nicht trank, war er siech
geworden; da bat er, man möge ihm sein Seelgeräte *) setzen,
eh dann der Kaiser zu Lande käme und ihn töten ließe.
Und ließ beschreiben einen seiner heimlichen Diener, mit dem legte
er an: Wann er das Seelgeräte von dannen führete, daß
er den anderen Tag um Mittag mit zwei Kleppern unter das Haus an die Saale
käme und seiner wartete. Es saßen aber bei ihm auf der Kemnate
sechs ehrbare Männer, die sein hüteten. Und als die angelegte
Zeit herzukam, klagte er, daß ihn heftig fröre; tat derwegen
viel Kleider an und ging sänftiglich im Gemach auf und nieder. Die
Männer spielten vor Langerweile im Brett, hatten auf sein Herumgehen
nicht sonderliche Achtung; unterdessen gewahrte er unten seines Dieners
mit den zwei Pferden, da lief er zum Fenster und sprang durch den hohen
Stein in die Saale hinab.
Der Wind führte ihn, daß er nicht hart ins Wasser fiel, da schwemmte der Diener mit dem ledigen Hengst zu ihm. Der Landgraf schwang sich zu Pferd, warf der nassen Kleider ein Teil von sich und rannte auf seinem weißen Hengst, den er den Schwan hieß, bis gen Sangerhausen. Von diesem Sprunge heißt er Ludwig der Springer; dankte Gott und baute eine schöne Kirche, wie er gelobet hatte. Gott gab ihm und seiner Gemahlin Gnad in ihr Herz, daß sie Reu und Leid ob ihrer Sünde hatten.
*) Letzter Wille, Testament.
Kommentar: Bange:
Thür. Chron., Bl. 48, 49. Winkelmann, VI, 210. Rohte,
1675, 1676. Gerstenberger, S. 183 - 186.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 548