Die Pferde aus dem Bodenloch
Richmuth von Adocht, eines reichen Bürgermeisters
zu Köln Ehefrau, starb und wurde begraben. Der Totengräber hatte
gesehen, daß sie einen köstlichen Ring am Finger trug, die
Begierde trieb ihn nachts zu dem Grab, das er öffnete, willens, den
Ring abzuziehen. Kaum aber hatte er den Sargdeckel aufgemacht, so sah
er, daß der Leichnam die Hand zusammendrückte und aus dem Sarg
steigen wollte. Erschrocken floh er. Die Frau wand sich aus den Grabtüchern
los, trat heraus und ging gerades Schritts auf ihr Haus zu, wo sie den
bekannten Hausknecht bei Namen rief, daß er schnell die Tür
öffnen sollte, und erzählte ihm mit wenig Worten, was ihr widerfahren.
Der Hausknecht trat zu seinem Herrn und sprach: »Unsere Frau steht
unten vor der Tür und will eingelassen sein.« - »Ach«,
sagte der Herr, »das ist unmöglich, eh das möglich wäre,
eher würden meine Schimmel oben auf dem Heuboden stehen!« Kaum
hatte er das Wort ausgeredet, so trappelte es auf der Treppe und dem Boden,
und siehe, die sechs Schimmel standen oben alle beisammen. Die Frau hatte
nicht nachgelassen mit Klopfen, nun glaubte der Bürgermeister, daß
sie wirklich da wäre; mit Freuden wurde ihr aufgetan und sie wieder
völlig zum Leben gebracht. Den andern Tag schauten die Pferde noch
aus dem Bodenloch, und man mußte ein großes Gerüste anlegen,
um sie wieder lebendig und heil herabzubringen. Zum Andenken der Geschichte
hat man Pferde ausgestopft, die aus diesem Haus zum Boden herausgucken.
Auch ist sie in der Apostelkirche abgemalt, wo man überdem einen
langen leinenen Vorhang zeigt, den Frau Richmuth nachher mit eigener Hand
gesponnen und dahin verehrt hat. Denn sie lebte noch sieben Jahre.
Kommentar: Merssaeus
(Cratepolius): Catalogus episcop. Coloniens. Greg. Horst in s. Zusätzen
zu Marc. Donatus: Hist. medica mirab., cap. 9, p. 707.
Balth. Bebelius: Diss. de bis mortius, p. 9. Rhein. Antiquarius, S. 728
bis 730.
Cölner Taschenbuch für altdeutsche Kunst, 1816
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 340