Markgraf Friedrich läßt seine Tochter
säugen
Dieser Friedrich mit dem Biß führte
hernachmals Krieg wider seinen Vater und den römischen König
und war auf der Wartburg eingeschlossen, denn der Gegenteil hielt die
Stadt Eisenach hart besetzt. In dieser Not gebar ihm seine Gemahlin eine
junge Tochter. Als sie acht Tage alt war und er nicht länger auf
der Burg aushalten konnte, setzte er sich mit Hofgesinde, der Amme und
dem Töchterlein selbzwölfte auf Pferde, ritten nachts von der
Burg in den Wald, doch nicht so heimlich, daß es nicht die Eisenacher
Wächter gewahrt hätten; sie jagten ihm schnell nach, in der
Flucht begann das Kindlein heftig zu schreien und weinen. Da rief Friedrich
der Amme zu, die er vor sich herreiten ließ, was dem Kinde wäre.
Sie sollte es schweigen. Die Amme sprach: »Herre, es schweiget nicht,
es sauge denn.« Da ließ er den ganzen Zug halten und sagte:
»Um dieser Jagd willen soll meine Tochter nichts entbehren, und
kostete es ganz Thüringerland!« Da hielt er mit dem Kinde und
stellte sich mit den Seinen zur Wehre so lange, bis sich die Tochter satt
getrunken hatte; und es glückte, daß er die Feinde abhielt
und ihnen hernach entrann.
Kommentar: Rohte, I, 1747.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm
(Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 561