Tod des Erstgeborenen
In einem vornehmen Geschlecht hat es sich vor ein paar hundert Jahren
zugetragen, daß das erste Kind, ein Söhnlein, morgens bei der
Amme im Bett tot gefunden wurde. Man verdachte sie, es absichtlich erdrückt
zu haben, und ob sie gleich ihre Unschuld beteuerte, so ward sie doch
zum Tode verurteilt. Als sie nun niederkniete und eben den Streich empfangen
sollte, sprach sie noch einmal: »Ich bin so gewiß unschuldig,
als in Zukunft jedesmal der Erstgeborene dieses Geschlechts sterben wird.«
Nachdem sie dieses gesprochen, flog eine weiße Taube über ihr
Haupt hin; darauf ward sie gerichtet. Die Weissagung aber kam in Erfüllung,
und der älteste Sohn aus diesem Hause ist noch immer in früher
Jugend gestorben.
Kommentar: Mündlich.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 260