Wie Ludwig Wartburg überkommen
*)
Als der Bischof von
Mainz Ludwigen, genannt den Springer, taufte, begabte er ihn mit allem
Land, was dem Stift zuständig war, von der Hörsel bis an die
Werra. Ludwig aber, nachdem er zu seinen Jahren kam, bauete Wartburg bei
Eisenach, und man sagt, es sei also gekommen: Auf eine Zeit ritt er an
die Berge aus jagen und folgte einem Stück Wild nach bis an die Hörsel
bei Niedereisenach, auf den Berg, da jetzo die Wartburg liegt. Da wartete
Ludwig auf sein Gesinde und Dienerschaft. Der Berg aber gefiel ihm wohl,
denn er war stickel und fest; gleichwohl oben räumig und breit genug,
darauf zu bauen. Tag und Nacht trachtete er dahin, wie er ihn an sich
bringen möchte, weil er nicht sein war und zum Mittelstein **) gehörte,
den die Herren von Frankenstein innehatten. Er ersann eine List, nahm
Volk zusammen und ließ in einer Nacht Erde von seinem Grund in Körben
auf den Berg tragen und ihn ganz damit beschütten; zog darauf nach
Schönburg, ließ einen Burgfrieden machen und fing an, mit Gewalt
auf jenem Berg zu bauen. Die Herren von Frankenstein verklagten ihn vor
dem Reich, daß er sich des Ihren freventlich und mit Gewalt unternähme.
Ludwig antwortete, er baue auf das Seine und gehörte auch zu dem
Seinen und wollte das erhalten mit Recht. Da ward zu Recht erkannt: Wo
er das erweisen und erhalten könne mit zwölf ehrbaren Leuten,
hätte er's zu genießen. Und er bekam zwölf Ritter und
trat mit ihnen auf den Berg, und sie zogen ihre Schwerter aus und steckten
sie in die Erde (die er darauf hatte tragen lassen), schwuren, daß
der Graf auf das Seine baue, und der oberste Boden hätte von alters
zum Land und Herrschaft gehört. Also verblieb ihm der Berg, und die
neue Burg benannte er Wartburg, darum, weil er auf der Stätte seines
Gesindes gewartet hatte.
*) Ähnliche Sage von Konstantin und Byzanz. Cod.
pal 361, fol. 63b.
**) Weil er die Fünfscheide macht zwischen Hessen,
Thüringen, Franken, Buchen und Eichsfeld.
Kommentar: Bange:
Thür. Chron., Bl. 44, 45. Gerstenberger a.a.O., S. 118,
119. Rohte a.a.O., 1674, 1675.
Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm),
Kassel 1816/18, Nr. 547