DER KREUZFREVLER

Es war im Jahre 1919; Südtirol war im Vertrag von St. Germain Italien zugesprochen worden und im Frühjahr dieses Jahres zogen italienische Soldaten mit ihren Maultieren durch das Ahrntal, um den vermeintlich *) nördlichsten Punkt Italiens, die Vetta d´Italia (Glockenkarkopf, 2.913m), zu besetzen.

In St. Peter am alten Erzzieherweg durch das Ahrntal stand die Lindermühle, an dessen Aussenwand ein lebensgroßer Gekreuzigter hing. Als die Militärkolonne an der Lindermühle vorbeizog, erhob sich ein Alpinisoldat aus dem Sattel seines Maultieres und schüttelte voller Zorn beide Fäuste zum Chirstusbild hinauf. Eine Gruppe von Peterer Frauen war Zeuge dieser frevlerischen Tat. Kaum eine Viertelstunde später zog die Militärkolonne über die Grießerbrücke. Als der Soldat, welcher seine Fäuste gegen das Christusbild erhoben hatte, über die Brücke ritt, scheute auf einmal sein Maultier; wild bäumte es sich auf, der Soldat konnte sich nicht mehr im Sattel halten und stürzte kopfüber in das schäumende Wasser der vom Schmelzwasser hochgehenden Ahr. Noch dreimal sah man einen Arm aus den wilden Wassern recken, dann nichts mehr.Erst viele Tage später fand man den Leichnam des Ertrunkenen weit talauswärts.

Die Lindermühle steht heute nicht mehr, sie musste der Strassenverbreiterung weichen, mit ihr auch das lebensgroße Kruzifix. Es steht heute beim Brigittler in der Marche von St. Peter.
(gesammelt und aufgeschrieben von Steger Konrad)

*) Anmerkung: Der westliche Zwillingskopf (2.835m) liegt eigentlich einige Breitensekunden weiter nördlich.

Quelle: Copyright © Konrad Steger
nach mündlichen Erzählungen von AhrntalerInnen