Latemar

Die Gepleng ist eine abgekommene Alm. Wenn du von Welschnofen auf Kar hinaufsteigst und den Karerwald durchwanderst, am wunderschönen Karersee vorbei, dessen Becken jedoch einen Teil des Jahres über wasserleer steht, hast du den furchtbaren Abhang des Latemargebirges vor dir mit allen Schrecknissen der steinernen Wildnis . . . Diesen felsigen Grund bedeckte nämlich vorzeiten die schönste Alm weit und breit. Und hinter der Alm war ein Bergwerk, überaus reich an Gold und edlem Gestein, so daß die Knappen in ihrem Reichtum immer zunahmen. Reichtum macht aber leichtlich übermütig und gottvergessen. Das wurden denn auch die Knappen, und sie trieben allerlei Unfug. Nicht bloß, daß sie sich ein Kegelspiel aus purem Golde machten und, statt dem Gottesdienste anzuwohnen, freventlich sich damit erlustigten, sie kamen auch von Zeit zu Zeit immer öfter auf die Geplengalm herüber, um da mit den Almern zu trinken, zu tanzen und zu spielen und mit den jungen Sennerinnen allerlei ungebührliche Dinge zu treiben. Sie verführten das Almvolk sogar, daß dieses ebenfalls selbst an den höchsten Festtagen nicht mehr zur Kirche herabging, sondern den Tag des Herrn mitsamt den leichtfertigen Knappen mit Spiel und Tanz und noch Schlechterem entheiligte. Daher, während sie wieder einmal am Tag des Herrn oben soffen und luderten, brach ein Gewitter los und fegte die ganze Alm bis auf das letzte Gräslein den Berghang herunter und die lasterhaften Almer und Knappen mit. Auch mit dem Bergsegen war es aus, denn das edle Gestein war geblendet, so daß es kein gewöhnlicher Mensch mehr zu sehen vermag, und läge es auch offen zutage. Nur die Venediger Männlein mit ihrem Bergspiegel und sonst des Zaubers kundige Leute sehen das Gold. So blieb es nun, und das wertvolle Erz hängt da und dort noch unbenutzt und geblendet von den Knappenstuben heraus und eine Strecke den Berghang herunter.

= Heyl/Tirol 1897 Nr. 66 S. 386 f. - Heilfurth Nr. 676 S. 638 f.
Aus: Gerhard Heilfurth, Südtiroler Sagen aus der Welt des Bergbaus, An der Etsch und im Gebirge, 25. Bändchen, Brixen 1968, Nr. 18, S. 24