Terenten

Alle Jahre um dieselbe Zeit kam ein Trientner Herr nach Terenten und fischte von einem unscheinbaren Brunnentrögl den Goldrack weg, der sich über den Winter gebildet hatte. Man wüßte im Dorfe von der Sache und kannte die Quelle, aber niemand konnte jemals etwas besonderes an ihr finden. Das ärgerte den Oberleitner, der ein großer Hexenmeister sein wollte, und er beschloß, dem Trientner sein gutes Geschäft zu verderben. Wenn schon er vom Gold nichts haben konnte, sollte auch der andere leer ausgehen, und er verhexte Wasser und Tröglein in den Grund, so daß rein nichts mehr zu finden war.

Wie immer kam nun der Trientner wieder zu seiner Zeit, mußte aber dieses Mal unverrichteter Dinge abziehen. Er konnte jedoch in Erfahrung bringen, daß der Oberleitner seine Hand im Spiele gehabt hatte, und er schwor ihm bittere Rache. Nach Jahr und Tag gab es sich einmal, daß der Hexenmeister in Trient zu tun hatte, und er strich gemächlich durch die alten Gassen. Da rief ihn ein feiner Herr aus einem Fensterwalken an, er möchte doch zu ihm hinauf kommen. Der "Terna" (Terentner) dachte nicht im geringsten an die Sache mit dem Goldbrünndl und stieg ahnungslos die breite Treppe hinauf.

Da mußte ja ein gar feiner Herr wohnen in diesen Saalfluchten und bespiegelten Gängen, dagegen wäre die "Terna"-Kirche rein gar nichts. Endlich tat sich da irgendwo eine breite Flügeltür auf, und ein Page winkte dem Bauern einzutreten. Ja, jetzt erkannte er ihn wohl, den Trientner, der seinerzeit alljährlich in Terenten das Gold fortgetragen hatte. Und in der Tat kam nun der Herr auf ihn zu, rieb ihm drohend die gemeine Hexerei unter die Nase, womit er ihm einen endgültigen Strich durch sein gutes Geschäft gemacht hatte und erklärte letzten Endes kurz und bündig, jener Streich koste dem Oberleitner das Leben, und er würde das schöne Bergdorf unterm Hegedex nicht mehr zu sehen bekommen. Die Strafe schien dem Bauern doch etwas zu arg. Er fügte sich aber doch scheinbar ins Unvermeidliche und bat recht demütig: "In Gottes Namen also, wenn es schon sein muß. Aber wenn du doch ein rechter Christenmensch sein willst, so gib mir wenigstens einige Minuten Zeit, damit ich mich für die große Reise in die Ewigkeit kurz vorbereiten kann." Dagegen hatte allerdings der Trientner Herr nichts einzuwenden, und er öffnete dem Bauern eine Tür zu einem stark vergitterten Zimmer. Da könnte er sich nun schnell bekehren, an ein Entweichen wäre da aber nicht zu denken. Der Oberleitner wollte aber nur Zeit gewinnen, hatte er doch schon ganz andere Situationen gemeistert. Wozu war er denn eigentlich ein Hexenmeister? Und im Nu hatte er etwas ausgeknobelt. Bereits nach wenigen Minuten rief er laut, er wäre mit Gott ins Reine gekommen und erwarte nun geduldig seinen Tod. Da trat auch schon der Trientner drohend ins Zimmer. Kaum hatte er aber die Tür hinter sich geschlossen, wirbelte es die Beiden ein paarmal herum, und mit einem Mal befanden sie sich in Terenten in der Oberleitner Stube, wo der Fremde keine Macht mehr über den Bauern besaß.

Nach Trient ging der Oberleitner nie mehr, aber auch der Trientner ersparte sich künftig den schweren Anstieg von der Vintl über den Krapfenbichl.

= Fink / Eisacktal 1957 S. 85 f. (mdl.) - Heilfurth K 3 Be 8 S. 829.
Aus: Gerhard Heilfurth, Südtiroler Sagen aus der Welt des Bergbaus, An der Etsch und im Gebirge, 25. Bändchen, Brixen 1968, Nr. 55, S. 50