DER KERZENGEIST

In Albeins bei Brixen ging vor alters ein Gespenst in der Gestalt eines Kreuzes um, das aus brennenden Kerzen gebildet war. Die eine Kerze war aufrecht gestellt und an Stelle des Kopfes brannte ein großes Licht; die beiden anderen Kerzen aber gingen oben von der Hauptkerze nach beiden Seiten waagrecht hinaus, wie beim Menschen die Arme, und an ihren Enden brannten kleinere Lichter an Stelle der Hände.

So ging das Gespenst jahraus, jahrein an Feierabenden vor hohen Festtagen und an Quatembermittwochen durch das Dorf, und wo es seinen Fuß hingesetzt hatte, fand man auf dem Boden hin und hin lauter Streifen von Papierschnitzeln. Wer sich dann hinauswagte und ein solches Papierschnitzel fand und fleißig bei sich trug, der war vor Beinbrüchen sicher. Unweit des Dorfes gegen Afers hinein war ein tiefer Felsspalt, die Hexenschlucht genannt, die jetzt zusammengebrochen sein soll; zwischen dieser Hexenschlucht und dem Dorf soll man den Kerzengeist öfters haben hin- und hergehen sehen.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 143