DIE LACHENDE MAUER

Die lachende Mauer umgibt in weitem Umkreis das Paradies. Sie ist ganz glatt und von solcher Höhe, daß niemand ohne Leiter hinaufkommt. Aber der Weg dahin ist weit und breit voll Dörner, die den Wanderer auf und auf kleinweis martern. Gelingt es nun doch dem oder einem andern, sich bis zur Mauer hindurchzufuchsen, und findet er die Leiter, welche ganz nahe in einer Dornhecke versteckt ist, so kann er auf die Mauer gelangen und sieht schon mit beiden Augen ins Paradies hinein.

Aber drinnen ist er noch lange nicht, obwohl man inwendig bequem hinabsteigen kann. Denn jeder, der auf der Mauer steht, hebt erst zu lachen an und muß lachen und lachen, er mag sich wenden, wohin er nur will. Davon hat die Mauer den Namen, wenngleich sie selber nicht lacht, sondern nur jener, der oben steht. Wenn er sich nun ordentlich müdegelacht hat, tut er einen lustigen Satz und ist drunten im Paradies. Heraus kann keiner mehr, wenn er auch wollte, denn rundherum ist in der ganzen Mauer keine Tür zu finden.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 140