DER RICHTER
Im Schloß Gufidaun ging ein Richter um. Er hatte einen blauen Rock
mit langen Schößen und goldenen Knöpfen und erschien an
hohen Festabenden und zu den Quatemberzeiten. Da ging er um Mitternacht
von dem hintersten Zimmer, wo ein eingemauerter Kasten mit Eisentüre
sich befindet - es soll dort das Geld verwahrt worden sein - in die große
Stube. Er trug in der Rechten eine Feder, in der Linken ein Buch. Hier
lehnte er sich an den hohen, grünen Kachelofen, blätterte im
Buche und strich manchmal etwas durch. Um ein Uhr kehrte er wieder zum
Eisenschranke zurück und verschwand. Einige Male wurde er bei hellichtem
Tage im zweiten Burghofe gesehen, weiter herunter ist er nie gekommen.
Vor zwanzig Jahren ist er erlöst worden, und das Schloß hat
nun Ruhe. (Gufidaun.)
Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen aus Tirol, 2. Auflage, Innsbruck 1891, Nr. 446, S. 253