DIE TOTEN LASSEN MIT SICH NICHT SPAßEN

In Lüsen war einmal ein Mesner, mit dem die übermütigen Bauernburschen seiner Furchtsamkeit wegen viel Spott trieben. Sie wußten, daß es dem Armen eine Höllenpein war, in der Nacht, wenn ein Gewitter drohte, durch den Friedhof in den Turm zu gehen, um Wetter zu läuten. Ein paar Knechte machten nun aus, wenn in der Nacht ein Wetter käme, den Mesner zu erschrecken. Nun zog wirklich bald darauf ein nächtliches Donnerwetter über die Berge und näherte sich schon dem Tale Lüsen. Die Knechte standen eilends auf, um den Mesner, der schon bald in den Turm gehen mußte, nicht zu versäumen. Sie gingen in den Friedhof und nahmen die Totenbahre, auf welche sich einer von ihnen legte. Die andern deckten ein großes Leintuch über ihren Kameraden und trugen ihn im Friedhof herum.

Allein der Mesner kam nicht, wohl aber kam ein schwarzer Geist, welcher auf die Totenbahre zuging. Das hatten die Träger nicht erwartet, und sie ließen erschrocken die Bahre zu Boden fallen und rannten davon. Dem andern, der auf der Bahre lag, wäre es beinahe schlimm ergangen. Als er aus der Umhüllung hervorkroch, um sich nach seinen Kameraden umzusehen, stand der Schwarze vor ihm mit feurigen Augen und entsetzlichem Grinsen. Der Knecht hat nie schnellere Beine gehabt als in diesem angstvollen Augenblick, und alle haben sie sich die Lektion hinter die Ohren geschrieben. Von nun an hatte der Mesner Ruhe.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 192