Huisile war ein gscheides Mannl

Aus all den vielen Erzählungen und Bildern formt sich immer deutlicher das Bild seiner Persönlichkeit: Ohne Zweifel handelte es sich um einen "walzeten Bruder", wie ihn ein Bauer von Trins bezeichnete. Solche "walzete Gestalten" hat es früher im Tiroler Volksleben in großer Anzahl und Vielfalt gegeben:

Da sind die Kraxentrager von Dorf zu Dorf und von Tal zu Tal gewandert, die einstens eine gewichtige Rolle spielten und nicht zuletzt bei großen Zeitereignissen als "lebendige Briefschaften" Bedeutung gewannen. Im Sterzinger Kinderspruch lebt die Gestalt noch fort,
wenn es heißt:

"Der Kraxentrager Hiesele
Kocht alle Tag a Müesele,
Giahn tuet er spannenweit
Und rasten tuet er lange Zeit."

Dazu kommen die Arzneihändler und Quacksalber, die ihr "Schkorpenöl" (Skorpionen) von Hof zu Hof verkauften und alle möglichen Heilmittel vertrieben. Anton Dörrer widmet diesen "Landfahrenden" in seinem Buch "Tiroler Vasnacht" eine eingehende Beschreibung, wobei folgende landfahrende Berufe erwähnt werden:

"Pfannenflicker, Hausierer, Öltrager, Gazzlmacher, Vogelhändler, Krautschneider, Wurzengraber und Lörgetbohrer..."

Wir gehen nicht fehl, wenn wir Pfeifer Huisile in einen dieser "landfahrenden Berufe" einreihen. Als Ölträger oder Hausierer oder überhaupt als "Kraxentrager Hiesele" könnten wir uns den Huisile recht gut vorstellen. So mag er von Hof zu Hof und von Tal zu Tal gewandert sein - immer zu gutem Rat bereit, immer auf den Aberglauben der Leute bauend, den er auch entsprechend auszunützen verstand. Immer war er auch zu Scherz und lustigen Worten aufgelegt. Er muß es gut verstanden haben, sich mit dem Reiz des Unbekannten und Geheimnisvollen zu umgeben. Bei Naturkatastrophen scheint er immer sofort zur Stelle gewesen zu sein, um dann die Macht der Natur irgendwie mit seiner Person in Verbindung zu bringen. Vielleicht gab es auch damals klimatische Veränderungen, da in jedem Tal Sagen von Hochwasserkatastrophen oder Bergstürzen erzählt werden. Diese Naturerscheinungen könnten mit dem Rückgang oder überhaupt mit Veränderungen der Gletscher zusammenhängen.

Ein Freund der Arbeit scheint Huisile nicht gewesen zu sein - dazu war er ein zu großer Schalk. Schon in seiner Jugend hatte er als Bauernknecht nicht ausgehalten. Er liebte nicht die Enge eines Hofes. Das frohe Leben im Sterzinger Städtlein sagte ihm besser zu.

Ohne Zweifel aber kannte und wußte er mehr als gewöhnliche Menschen! Seine Sprüche verraten einen scharfen und klaren Kopf. Mit jedem Wort wußte er den Nagel auf den Kopf zu treffen. Unerschöpflich ist seine Phantasie, die ihn zu einem der größten Aufschneider der Tiroler Sagenwelt machte. Seine Zauberkraft zeigte er mit Kunst und sogar mit Kniffen aller Art. Geschickt spekulierte er auf den Aberglauben der "schwachen Mitmenschen". Seine übermenschlichen Fähigkeiten dichtete er sich skrupellos auf, und er freute sich, wenn ihn das einfache Volk immer höher einschätzte und auch fürchtete.

Endlich darf die geistige und kulturelle Lage des 17. Jahrhunderts nicht übersehen werden: Die Zeit stand im Zeichen des Volks- und Aberglaubens. Das ganze Land war mit seltsamen Büchern und abergläubischen Dingen übersät, wie das Beispiel des Lauterfresser-Prozesses beweist. So hatte der Lauterfresser folgende Bücher zu Handel gebracht und verkauft - man sieht auch aus diesem Beispiel den "zivilen Beruf" der alten Hexenmeister, sie waren nebenbei auch Buchagenten:

"Der vorbenannte Jakob Gasser habe dergleichen Bücher und Segen, auch Sprüche. Der alte Mesner zu Sankt Andrä habe auch einen Zyprians-Segen gehabt. Bei Jakob Maßl in Pfunders sei ein Planetenbüchlein, ebenso beim Maier an der Lahn. Der Gruber auf Terenten habe auch Bücher. Eine alte, schwere Bibel habe er dem Unterhuber auf Vintl verkauft. Auch habe er ein Büchlein mit drei Diebssegen gehabt. Überdies habe er allerlei Diebs-, Wetter-, Benedikti- und Kilianssegen besessen. Das Lesen habe er von Bauern gelernt, das Schreiben habe ihm niemand gezeigt, er selbst habe es abgeschaut und nach und nach gelernt. Der Barthlmä, so man insgemein Lebensführer nennt, habe ein Planetenbüchl, in dem über 160 Blätter, 27 Kupfer und 36 Bilder des Himmelslaufes sind. Es sei ein ganzes Planetenbuch. Er kenne keine andere Sprache. Dem Christian Paumgartner habe er das Fortunatus-Säckel und Wunschhütlein geliehen. Dem Müller ob Schnauders habe er "Schimpf und Ernst" zu lesen gegeben. Auch habe er Doktor Faustus, den Rollwagen und den Eulenspiegel gehabt und anderen mitgetheilt usw."

In diesen Angaben spiegelt sich die kulturelle Welt mit allen Aberglauben des 17. Jahrhunderts. Planetenbüchlein haben nicht nur im Leben Wallensteins eine Rolle gespielt, sondern auch beim einfachen Volk. Und in dieser seltsamen Welt lebte und wirkte auch Huisile! Verstehen wir diese Welt, dann verstehen wir auch ihn und sein Wesen:

Eine etwas prahlerische Gestalt des Volksglaubens, vermischt mit dem Schalk des Eulenspiegel und der dunklen Dämonie des Faust. Es ist bezeichnend, daß sowohl der "Rollwagen", der "Doktor Faustus" wie auch der "Eulenspiegel" im einfachen Tiroler Bauernvolk bekannt waren.

Gerade das Faustmotiv drängt sich nun immer stärker in das Leben Pfeifer Huisiles, und uralte Volksvorstellungen scheinen sich auf sein Leben übertragen zu haben.

Quelle: Pfeifer Huisile, Der Tiroler Faust, Hermann Holzmann, Innsbruck 1954, S. 84 - 86.
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Bettina Stelzhammer, Februar 2005.