PONTIVES

Am äußersten Ende Grödens, wo das Tal ganz eng wird, liegt der große Bergsturz von Pontives. Wie man erzählt, soll hier einst eine große Stadt gestanden sein, die aber dann an demselben Tage, als Christus am Kreuze hing und ein gewaltiges Erdbeben kam, durch einen riesigen Bergsturz von der Raschötz herab zerstört wurde und zugrunde ging. Seither ist hier alles tot; nur hie und da hört man aus den Spalten und Löchern zwischen den Steinen des Bergsturzes heraus noch junge Stimmen weinen und seufzen, und zur Nachtzeit springen häufig geisterhafte Lichter umher.

In alten Zeiten aber war das Bergsturzgebiet von Pontives auch von Hexen bewohnt, die man oft auf den großen Steinen tanzen gesehen hat. Wenn ein später Wanderer die Tanzmusik hörte und ihr unvorsichtigerweise nachging, konnte es ihm aber schlimm ergehen: denn da kamen die Hexen und fielen über ihn her, zogen ihn an den Haaren und warfen ihn da und dorthin und mißhandelten ihn oft dermaßen, daß er schließlich halbtot liegen blieb. Deshalb war der Wald von Pontives einst gefürchtet, und niemand wollte hier zu nächtlicher Zeit durchgehen.

Quelle: Alton, Giovanni, Proverbi, tradizioni ed aneddoti delle valli ladine orientali, con versione italiana. Innsbruck 1881. S. 72 f.