DAS WUNDERDOKTERLE VON WOLKENSTEIN

In Wolkenstein lebte einst ein sonderbares Männlein, das weit und breit als "Wunderdokterle" bekannt war. Überall wurde es hingerufen, zu Leut' und Vieh, und allen konnte es helfen.

Das Männlein verstand aber auch andere, sonderbare Künste. Deshalb wurde es oft in den unmöglichsten Dingen um Rat gefragt.

Als es einmal von Gröden hinaus nach St. Peter ging, begegnete ihm dort ein weinendes Bauernbübl. Den ganzen Tag schon, so berichtete es dem Grödner Wunderdokterle, habe es in Wald und Feld nach seinen verlorenen sieben Schafen gesucht, sei aber noch auf keine Spur dieser Tiere gestoßen. Das Dokterle beschwichtigte den Buben und sagte: "Da hast du sieben Heiligenbildchen. Verlier aber keines. Dann wirst du deine Schafe finden." Dankend lief das Büblein heimwärts. Im Laufen verlor es aber zwei Bildchen; als ihm der Verlust auffiel, hielt es das aber nicht für wichtig genug, um wieder zurückzulaufen und die beiden verlorenen Bildchen zu suchen.

Daheim angelangt, bemerkte es zu seiner überraschung, daß fünf seiner vermißten Schafe wieder aufgetaucht waren und wohlbehalten dastanden. Die restlichen zwei aber fehlten. Sofort lief das Büblein wieder zurück, um die beiden verlorenen Bildchen zu suchen, konnte sie aber nicht mehr finden. Ebenso blieben die beiden noch fehlenden Schafe verschwunden; sie kamen nie mehr zum Vorschein.

Quelle: Fink, Hans, Eisacktaler Sagen, Bräuche und Ausdrücke. Schlern-Schrift Nr. 164, Innsbruck 1957, S. 300