DIE SALIGEN FRÄULEIN IN VÖRAN

Der Egger in Vöran war ein Bauer wie alle anderen da oben auf den sonnigen Höhen des Tschögglberges - weder groß noch klein, weder arm noch reich.

Dann aber begann es mit ihm auf einmal aufwärtszugehen, ohne daß sich jemand die Ursache für diesen steigenden Wohlstand erklären konnte. Und endlich hatte der reiche Egger Geld und Sachen in Hülle und Fülle, mit seinen Talern hätte er den Hausgang pflastern können, mit seinem Korn für ganz Vöran Brot backen und mit seinem Holz hundert Backöfen heizen. Und einen Heustock hatte er, wie jetzt alle Vöraner zusammen keinen haben, und mit seinem vielen Mist hätte er die ganze Möltner Weide zu düngen vermocht.

Wenn die Viehmagd in den Stall ging, um die vielen wohlbeleibten Kühe zu melken, da kamen allabendlich zwei Saligen Fräulein mit seidenzartem Haar und schneeweißen Gewändern daher und tranken ein wenig Milch aus dem Kübel.

Doch niemand verwehrte ihnen das; denn seitdem die beiden Saligen Fräulein in den Stall kamen, war der Egger reich und reicher geworden, und wenn sie aus dem Milchkübel tranken, so nahm die Milch nicht ab, sondern sogar noch zu.

Einst hatte den Bauern etwas erzürnt. Giftig kam er heim und ging dem Stall zu. Als er eintrat, tranken die beiden Saligen Fräulein eben aus dem Kübel von der frischgemolkenen Milch. Wütend riß er den Fräulein den Kübel aus den Händen und schüttete ihnen die ganze Milch ins Gesicht und auf die weißen Kleider. "Zum Teufel, was sauft ihr da meine Milch!" schrie er dabei und warf sodann den leeren Kübel in eine Ecke. Die erschrockenen Saligen flüchteten aus dem Stall, kehrten sich aber bei der Tür noch einmal um und sagten wehmütig:

"Au und weah
und nia koan reicher Egger meahr!"

Dann gingen sie davon, und keiner hat sie seitdem wieder gesehen.

Quelle: Zingerle, Ignaz Vinzenz, Sagen, Märchen und Gebräuche aus Tirol. Innsbruck 1859. S. 26 f.