DER ANTHOLZER SEE
Wo jetzt der See bei Antholz im Pustertale seine grünblauen Wellen ausbreitet, standen einst in friedlicher Nachbarschaft drei prächtige Bauernhöfe, umgeben von gesegneten Gütern.
Als einst der Kirchtag gefeiert wurde, an welchem jeder Mensch sich besonderer Labe erfreut, ging ein alter Bettler in diese drei Höfe und bat um Almosen, oder wenigstens um etwas Tischabfälle. Die Bauern waren jedoch einer wie der andere selbstsüchtige und geizige Menschen und setzten den Armen alsbald vor die Türe. Da sprach der Bettler erzürnt zu einem jeden: "Gib acht, binnen drei Tagen wird hinter deinem Haus ein Brünnlein aufgehen, dann werden dir die Augen auch aufgehen - schau dann zu, was es anstellen wird!"
Indessen kümmerten sich die Bauern wenig um die Rede des Bettlers
und lachten nur dazu. Am dritten Tage aber ging hinter jedem Hause ein
Brünnlein auf, und alle drei wuchsen so an, daß ein See daraus
wurde, der bald die Häuser mit Mann und Maus hinunterschlang. Das
ist der Antholzer Hochsee, den jetzt rings dunkler Tannenwald umschattet.
Quelle: Alpenburg, Johann Nepomuk Ritter von, Mythen und Sagen Tirols. Zürich 1857. S. 231