DIE ANTRISCHE GLOCKE
Zu Onach hausten am hohen Graben unter "Rasten" im felsigen Geklüfte die antrischen Leute. Es waren unheimliche, wilde Menschen, die von Gott verstoßen wurden, weil Eva diese ihre Kinder dem Herrgott ableugnete. Sie erwiesen sich den Bauern freundlich und hilfreich, aber wenn man sie beleidigte, dann nahmen sie Rache.
Da und dort diente eine solche Wilde Dirn bei den Bauern und brachte das Hauswesen in besten Gang. Für empfangene Wohltaten bezeigten sie sich dankbar; aber im ganzen scheuten sie die Leute und flohen beim Anblick derselben. Das Glockengeläute war ihnen besonders zuwider; sie nannten die anfänglich nur kleinen Glocken bloß Geiß- oder Kuhschellen, und wenn sie konnten, stahlen sie die Glocken und vergruben sie.
Die ersten Christen in Onach hatten sich auch ein Glöckel in den
Turm gehängt. Die antrischen Leute aber stahlen es, trugen es in
den hohen Graben hinauf, wo sie ihr Hauswesen hatten, und vergruben es
zwischen den Felsen. Aber die Glocken wachsen wie andere Schätze
allmählich wieder nach oben, in siebenmal hundert Jahren sieben Spannen.
Ein Onacher Hirt sah den Schatz blühen, zog das Glöckel zwischen
den Felsen hervor, und die Onacher hängten es wieder in ihren Kirchturm,
wo es heute noch geläutet wird.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 564