ABWÄRTS STATT AUFWÄRTS

Beim Pairkreuzl in der Nähe von Sand, Richtung gegen das Reintal, kommen die Leute des Nachts gerne vom Weg ab und müssen statt aufwärts abwärts in die Winkler Felder, obgleich sie sonst den Weg genau kennen.

Der Herr Kaplan von Ahornach, nachmals Benefiziat in Mühlen, ging einmal im Herbst bei finsterer Nacht von Sand fort nach Ahornach. Ein Stück gegangen, tat er unweit des Pairkreuzes einen Fehltritt, verlor dabei seinen Hut und setzte seinen Weg ohne Hut fort, da er diesen nirgends mehr finden konnte, bergauf und immer bergauf. Doch Ahornach kam nicht, obwohl er noch immer auf dem richtigen Weg zu sein glaubte, den er ja blind nicht hätte fehlen können, so gut kannte er ihn.

Endlich kommt er zu unübersteigbarem Steingerölle, von dem er auf diesem Weg sonst nie etwas gesehen hatte, und beschloß, da zu rasten und den Tag abzuwarten. Als er einige Zeit da gesessen war, hörte er elf Uhr schlagen, und wie noch kurz darauf der Mond aufgeht, merkt er zu seinem nicht geringen Erstaunen, daß er statt auf dem Ahornacher Berg, auf dem gerade gegenüberstehenden Kemater Berg war und noch dazu an einer so schwierigen Stelle, daß die Leute selbst bei Tag fast nicht daher zu gelangen vermögen.

Mit Mühe konnte er den Abhang hinabkraxeln. Am andern Tag fand er seinen Hut ein Stück oben am Ahornacher Berg. Er mußte sohin von da steil abwärts gegangen sein, anstatt aufwärts, mußte den Reiner Bach unten überschritten haben, und von alldem hat er nichts gemerkt und war doch seiner Lebtag ein strohnüchterner Mann.

Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 674