DER FEURIGE WAGEN
Um Mitternacht sieht der Wanderer oft einen feurigen Wagen auf der Furkel, der das einemal von der Enneberger Seite gegen Geiselsberg, das anderemal wieder von Geiselsberg herwärts nach Enneberg rollt. Dann und wann macht der Wagen den Hin- und Rückweg in einer und derselben Nacht. Der Wagen pflegt wohl auch vor dem oder jenem Stadel zu halten, dann springt der Kutscher vom Bock, öffnet das Tor und führt Roß und Wagen hinein. Nach einiger Zeit donnert der Wagen sodann wieder durchs Stadeltor heraus und die Rampe herab und rasselt davon durch die finstere Nacht.
Bei einem Bauernhof in Geiselsberg entstand einst um Mitternacht plötzlich ein Höllenlärm im Stadel. Es mußte eine ganze Schar von Dreschern darinnen sein, denn in Bewegung gesetzt wurden alle vorhandenen Dreschflegel und losgeschlagen wurde auf die Tenne, daß der Bauer nichts anderes meinte, als: der Boden wäre sauber durch. Ärgerlicher wurde die Sache noch dadurch, daß die nächtlichen Drescher unberufene Knechte und nicht bei der Arbeit aufgewachsen waren, denn sie verstanden es nicht, Takt zu halten. Es ging unter- und durcheinander, das Gepolter auf die leere Tenne, daß einem Hören und Sehen schwinden mußte, vorausgesetzt, man könnte in finsterer Nacht überhaupt etwas sehen. Das Spektakel dauerte ungefähr eine Viertelstunde, dann wurde es wieder still im Stadel. Aber horch, was ist das? Das Stadeltor geht mit Ach und Krach auf, und ein Wagen donnert heraus mit sechs Rappen, ei, die waren spiegelblank und schön gestrichen, aber aus Maul und Nüstern bliesen sie Feuer, und im Wagen der schwarze Hund, der gleich einem vornehmen Herrn breit und behäbig dasaß, blies ebenfalls Feuer von sich, daß man vor dem Wagen auf den Weg sehen konnte wie am hellen Tage. Vorn auf dem Bock saß ein schwarzgekleideter Kutscher. Der Wagen rollte mit Windeseile dahin und verschwand, als er auf die Furkel kam und gegen die Enneberger Seite einbog, da, wo ein Kruzifix steht. Manche Leute behaupten, auf der Enneberger Seite dürfe er überhaupt nicht weiter fahren als bis zu diesem Wegkreuz.
Einer hat den Wagen einmal gerade um Mitternacht oben über die Furkel daherfahren gesehen. Der Mensch war furchtsam und versteckte sich noch rechtzeitig. Da sah er auf der Paßhöhe der Furkel den Wagen anhalten und einen überaus feinen und noblen Herrn aussteigen. Der fragte den Kutscher, wo der Horcher wäre. Dem Bauern im Versteck kroch es schon ganz gruselig über den Rücken; er meinte, im nächsten Augenblick würden sie über ihn kommen, und fing an zu beten. Der Kutscher aber antwortete: "Den können wir nicht in den Wagen nehmen, er ist außer dem Gemärk." Damit meinte er das Wegkreuz, denn der Bauer hockte außer demselben, und soweit durfte der Wagen nicht fahren. Dann setzte sich der vornehme Herr auf einen Stein, und der Kutscher packte eine wunderschöne Geige heraus und reichte sie dem Herrn auf dem Stein.
Dieser strich nun das Instrument und spielte einige Stücke darauf,
so wunderlieblich, daß der Bauer meinte, solch reizende Musik könne
es sonst für gewöhnlich nur im Himmel geben, wenn die Engel
geigen. Hierauf packte der Kutscher die Geige wieder ein, der Herr stieg
wieder in den Wagen, und fort rasselte in entgegengesetzter Richtung das
Sechsgespann! Wenn einem der Spuk in den Weg käme, sagen die Leute,
wäre er sicher verloren; der Herr würde ihn zwingen, in den
Wagen zu steigen, und der Mensch käme nie mehr zurück, außer
er trüge geweihte Sachen bei sich; dann freilich könnte ihm
der Spuk nichts anhaben.
Quelle: Heyl, Johann Adolf, Volkssagen, Bräuche und Meinungen aus Tirol, Brixen 1897, S. 662 f.